13/04/2023

DiGAs in der Praxis – Takeaways vom Healthcare Experience Meetup im März

Autor: Ingo Werren

Blick von hinten auf podium und health lab

Bei unserem zweiten Meeting der Healthcare Experience Meetup-Serie drehte sich alles um Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Praxis. Speaker waren Monika Rimmele von der DiGA-Factory, der HNO-Arzt Dr. Alexander Loch sowie der Tinnitus-Patient Gabriel V.

Unser monatlich stattfindendes Meetup widmet sich stets der Fragestellung „Wie kann die Healthcare Experience für alle Beteiligten verbessert werden?“ Am Dienstag, dem 28.03.2023 fand das zweite Meetup im IBM Health Industry Lab statt – wieder mit spannendem Input von Expert*innen aus der Praxis. Das Thema diesmal: „Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Praxis“.

Monika Rimmele von der DiGA-Factory stellte einige Hintergründe sowie Marktdaten zu dieser weltweit noch recht einzigartigen digitalen Versorgungsform vor. Dr. Alexander Loch, praktizierender HNO aus der HNO-Praxis-Nord, der DiGAs aktiv verschreibt, erläuterte seinen Blick auf das Thema. Der Tinnitus-Patient Gabriel V. wiederum berichtete von seiner persönlichen Erfahrung mit einer DiGA in der Therapie.

Aus den Vorträgen der Speaker*innen, den Fragen und der anschließenden Diskussionen habe ich folgende acht Takeaways mitgenommen:

1. User-Experience bestimmt die Patienten-Nutzung

Patient*innen wünschen sich mehr digitale Therapien, die nutzerfreundlich gestaltet sind. Eine schlechte User Experience führt zu Frustration und eventuell sogar zum Abbruch der Therapie. Das trifft vor allem dann zu, wenn die Anwendung zu kompliziert gestaltet ist, unverständliche Fachsprache verwendet wird oder Mängel im Design bestehen.

Die Ursachen dafür können vielfältig sein. Zum einen können Start-ups, die für komplexe Anwendungen nötigen umfangreichen User-Tests und Iterationen möglicherweise nicht leisten. Auch stehen die regulatorischen Vorgaben für DiGAs einem besseren Experience Design unter Umständen im Weg. Zudem braucht es zur Verbesserung des Designs oft viele und kurze Iterations- und Verbesserungszyklen. Dem können Vorgaben und Prozesse einer Medizinproduktentwicklung und der DiGA-Zulassung oft erschwerend gegenüberstehen. Inhalte wissenschaftlich korrekt und dennoch allgemein verständlich darzustellen, ist ebenfalls nicht einfach.

2. Weniger und besser ist mehr

Das Revolutionäre an der DiGA ist nicht die technische Innovation an sich, denn die Anwendungen sind in diesem Punkt recht simpel. Tatsächlich revolutionär ist die Vergütungsform der DiGA. Dementsprechend ist das Entscheidende, dass DiGAs so umgesetzt werden, dass sie die Patient*innen bei der Gestaltung und den Inhalten in den Fokus nehmen. Hier stehen sich Start-ups und Großkonzerne gegenüber.

Start-ups kämpfen mit kleinen Budgets und können DiGAs teils nicht so gestalten, dass sie für die Patient*innen ansprechend sind. So sind zum Beispiel einige der DiGAs noch reine Websites, da die Entwicklung von nativen Apps zu kostspielig wäre. Pharma- oder andere Industrie-Unternehmen verfügen hier zwar über mehr Ressourcen, laufen aber unter Umständen Gefahr, ihre Services mit zu vielen Funktionen zu überfrachten, was für die Patient*innen ebenfalls nachteilig ist.

3. Ärzt*innen und DiGAs – es ist kompliziert

Ärzt*innen wissen noch immer zu wenig über DiGAs. Zum Teil kennen sie die Anwendungen gar nicht, zum Teil sind diese mit Ängsten und Vorurteilen behaftet. Auch gibt es immer noch Zweifel hinsichtlich des Nutzens für Ärzt*innen, aber auch Patient*innen (Stichwort „Evidenz“). Weiterhin sehen Ärzt*innen die Gefahr einer gewissen „Kannibalisierung“ ihres eigenen Leistungsangebots durch DiGAs, was die Barriere einer Verschreibung zusätzlich erhöhen kann. Aber auch von Patientenseite gibt es Vorbehalte. So werden DiGAs nach wie vor wenig nachgefragt, selbst wenn Patient*innen diese Option kennen und über ihre Vorteile informiert wurden.

Während Ärzt*innen von Pharma-Unternehmen regelmäßige Besuche und Informationen erhalten, ist der Austausch mit DiGA-Herstellenden bislang nur wenig ausgeprägt. Vermarktungsinitiativen von DiGAs, welche die Ärzteschaft adressieren, sind bislang ebenso selten. Insgesamt ist der Aufklärungsbedarf auf allen Seiten immer noch groß.

4. Fachgesellschaften unbedingt einbinden

Der Zweifel und das fehlende Vertrauen der Ärzt*innen sind mitunter auch durch eine unzureichende Kommunikation mit ihren Fachgesellschaften begründet. Eine gezielte Kommunikation könnte Zweifel abbauen, Vertrauen schaffen und die Bekanntheit von DiGAs steigern.

5. Mehr Austausch zwischen DiGA-Start-ups und der Pharmaindustrie

Die Pharmaindustrie verfolgt die Entwicklungen von DiGAs interessiert und aufgeschlossen. Dabei sieht sie Hersteller von DiGAs weniger als Konkurrenz, sondern steht der Entwicklung positiv gegenüber. Zum Teil wird an eigenen Projekten gearbeitet, zum Teil auch die Entwicklung von „fremden“ DiGAs bei Studien unterstützt.

Es wird insgesamt mehr Austausch miteinander gewünscht – gerade in Indikationen, in denen Pharma-Unternehmen eigene Expertise und Produkte haben. Durch mehr Zusammenarbeit zwischen DiGA-Herstellende und Pharma-Unternehmen könnten bessere Services entstehen und beide Seiten profitieren.

6. Evidenz ist wichtig, aber nicht Alles

Die vom Gesetzgeber und der DiGAV geforderte Evidenz ist richtig und durchaus wichtig. Sie ist aber auch eine Herausforderung – auf mehreren Ebenen.

Trotz des Fast-Tracks (aktuelles verkürztes Zulassungsverfahren für DiGA) bleiben für Start-ups noch immer hohe Aufwände bestehen, die viele Ressourcen binden. Diese fehlen dann unter Umständen an anderer Stelle. Auch für Ärzt*innen ist medizinische Evidenz natürlich relevant. Aber es gibt auch hier noch viel Ungewissheit, wie verlässlich diese Evidenz tatsächlich ist. Es stellt sich zudem die Frage, ob Evidenz bei DiGAs in gleichem Maße wie derzeit bei pharmazeutischen Medikamenten bewertet werden sollte.

Ebenso kann diskutiert werden, ob wir in der jetzigen Form der Evidenz-Messung überhaupt alle relevanten positiven Effekte messen können. Beim Nachweis der Evidenz herkömmlicher pharmazeutischer Medikamente tritt die Verabreichungsform in den Hintergrund, macht aber für die User Experience durchaus einen Unterschied. Denn Tablette ist nicht gleich Tropf.

DiGAs sind nicht unbedingt ein einfacher Weg für alle Beteiligten im System. Denn noch ist das Gesundheitssystem eher ein Krankheitsverwaltungssystem. Eine Tablette zu nehmen, ist relativ einfach. Eine DiGA-Nutzung wiederum erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit und ein kontinuierliches Engagement der Patient*innen. Dabei wird jedoch auch die Gesundheitskompetenz gestärkt und Präventionsarbeit betrieben. Diese Effekte fließen aber wenig oder nicht ausreichend in Studien und die Vergütung ein.

7. Kommerzieller Erfolg mit DiGA – ein steiniger Weg

Kommerziellen Erfolg mit DiGAs zu erzielen, ist für Herstellende noch immer eine Herausforderung. Die Zahlen der Verschreibungen sind noch recht gering, Skepsis und Unwissenheit verbreitet. In Kombination mit den eher geringen Vergütungen, die teils vom GKV Spitzenverband verhandelt wurden, kann dies für Unternehmen ohne ausreichende finanzielle Reserven durchaus problematisch sein.

8. Gemeinsam ans Ziel

Es bestehen viele Forderungen: besseres Experience Design, mehr Marketing, mehr Austausch mit den Fachgesellschaften sowie mit Ärzt*innen. Dabei darf man nicht vergessen, dass wir es mit einem sehr jungen und neuartigen Markt zu tun haben, der viele Möglichkeiten bietet, über den alle Beteiligten aber noch viel lernen müssen. In jedem Fall bleibt es auch weiterhin spannend.

Interessiert an einem Austausch zu diesen und weiteren Themen der Gesundheitsbranche? Dann jetzt für das nächste Healthcare Experience Meetup anmelden!

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