07/03/2023

Healthcare Experience im Bereich der Pflege – Takeaways vom Meetup im Februar 2023

Autor: Ingo Werren

Zum Auftakt unserer neuen Meetup-Serie im IBM Health Industry Lab gab es spannende Einblicke in den Bereich der Pflege in Deutschland. Speaker waren Chenchao Liu von match.care und Thomas Heinrich von HerzBegleiter.

Unser monatlich stattfindendes Meetup widmet sich stets der Fragestellung „Wie kann die Healthcare Experience für alle Beteiligten verbessert werden?“. Die Auftaktveranstaltung am 28. Februar stand im Zeichen der Pflege. Aus den Vorträgen der Speaker und der anschließenden Diskussion habe ich zehn Takeaways mitgenommen:

1. Make Pflege sexy again.

Pflege kann ein attraktiver Beruf sein – das muss aufzeigt werden. Es liegt an allen Beteiligten, diesen Beruf interessant und erstrebenswert zu gestalten. Bei aller Kritik an der Politik sollte nicht nur kritisiert und über Pflegenotstand geklagt werden, sondern sich im Pflegebereich stärker darauf konzentrieren werden, was man erreichen und ermöglichen kann. Es gibt schon jetzt viele verschiedene Karrierewege und -möglichkeiten. Mit Wertschätzung für Pflegekräfte und der richtigen Kommunikation kann das deutsche Gesundheitssystem verbessert werden.

2. Das ist nicht genug, liebe Politik!

Die Pflegereform, die jetzt als Referentenenwurf vorliegt, wird von einigen aus der Branche eher als „Reförmchen“ gesehen. Sie kommt nicht an die Themen ran, die in der Pflege wirklich angegangen werden müssen. Auch um – wie oft gewünscht – Pflegekräfte aus dem Ausland zu holen, braucht es mehr Support und Erleichterung durch die Politik. Sei es bei Visas, bei Anerkennung von Abschlüssen oder ganz allgemein beim Abbau von Bürokratie.

3. Pflegekräfte aus dem Ausland. Möglich, aber keine Einbahnstraße.

Pflegekräfte aus dem Ausland zu holen, ist ein möglicher Weg mit Engpässen umzugehen. Durch das Tariftreue-Gesetz muss dabei grundsätzlich mindestens Tariflohn gezahlt werden. Die Herausforderungen sind jedoch vielfältig und interkulturelle Aspekte müssen bedacht werden: Sprachbarrieren, Umgangsformen, kulturelle Unterschiede. „Der Deutsche an sich, ist nicht einfach.“ war ein Kommentar in der Veranstaltung. Es braucht Verständnis und Sorge für die Menschen, die als Gäste zu uns kommen und als Partner bleiben. Dies ist keine Einbahnstraße, sondern beide Seiten müssen sich aufeinander einstellen und zubewegen. Ein intensiver Austausch über gegenseitige Wünsche und Erwartungen ist wichtig. Kontinuierliche Hilfe und Betreuung in allen Belangen des Lebens, wenn sie bei uns sind unabdingbar. Hierbei spielt die Politik eine große Rolle, aber auch Service-Plattformen wie match.care können bei einigen dieser Herausforderungen helfen.

4. Pflege-Austausch und nicht nur Import.

Deutschland hat gemessen an seiner Bevölkerung tendenziell mehr Ärzt*innen und Pflegekräfte als viele andere Länder. Andere Gesundheitssysteme können von unserem System lernen. Menschen, die hier arbeiten wollen, tun unter Umständen genau das und können das Erlernte bei einer Rückkehr anwenden. Das Auslandssemester im Studium ist bekannt und etabliert. Warum wird dieses Erfolgsmodell des Austauschs nicht auch systematisch in der Pflege angewandt? Es kann Mehrwerte für alle Seiten schaffen und ist vielleicht auch ein Weg, den Beruf attraktiver zu machen.

5. Health ohne ‚care‘ ist zu kurz gedacht.

Oft wird beim Reden über Health der Anteil von ‚care‘ vergessen. Jedoch ist der Effekt, den die Pflege auf Gesundheit haben kann, vielfältig. Funktionierende Pflege verhindert nicht nur „Drehtüreffekte“ ins Krankenhaus, ihr kommt auch eine wichtige Lotsenfunktion zu, um überhaupt nötige Leistungen zu erhalten. Nur 30% aller Pflegebedürftigen fühlen sich gut beraten. Das heißt im Umkehrschluss, dass 70% meist nicht Bescheid wissen, wo und von wem sie Hilfe kriegen können. Ein Umstand, der unter anderem mit digitalen Angeboten verbessert werden kann. Wie in so vielen Bereichen von Digital Health geht es nicht unbedingt darum eine „digitale Medizin“ bereitzustellen, sondern darum, die wichtigen und richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen – und zwar so, dass sie von der Zielgruppe verstanden werden kann. Digitale Services im Gesundheitswesen, die von den Bedürfnissen der Nutzer*innen ausgehen, helfen, Gesundheitskompetenz zu stärken.

6. Funktionierende Pflege schafft direkten volkswirtschaftlichen Nutzen.

Die Verhinderung von „Drehtüreffekten“ stärkt nicht nur die Gesundheit, sondern senkt auch Behandlungskosten. Funktionierende Pflege kann weitere Fehlausgaben in der Pflegeversicherung verhindern. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie pflegende Angehörige entlastet und diesen eine entspanntere und produktivere Ausübung ihrer sonstigen beruflichen Tätigkeiten ermöglicht. Das wiederum verhindert Krankheiten aufgrund von Überlastung.

7. Digitalisierung to the rescue: Pflegekräfte sind keine Sachbearbeiter*innen.

Rund 40% der Arbeitszeit von Pflegekräften geht aktuell in die Bürokratie und kommt nicht dem Menschen zugute. Dies ist ein Bereich, in dem digitale Services, die sich in den Alltag und die Prozesse der Pflege einbinden, helfen können. So kann Pflegekräften die Möglichkeit gegeben werden, das zu tun, weswegen sie diesen Job ergriffen haben – Menschen zu helfen.

8. Hybrid hilft. Analoge mit digitaler Pflege kombiniert hilft allen.

Digitale Unterstützung kann Pflegekräften nicht nur Bürokratie abnehmen, sie kann ihnen auch ermöglichen, einen Teil ihrer Pflegetätigkeit auszuüben. Zu der gehört nämlich auch die Pflegeberatung. Sie ist zum Teil und je nach Pflegegrad sogar vorgeschrieben. Nimmt man sie nicht in Anspruch, werden Leistungen gekürzt. Gesetzlich verbrieft sind ca. 18 Millionen einzelne Pflegeberatungen. Diese können wirtschaftlich und personell in Deutschland jedoch nicht abgedeckt werden. Ein großer Teil davon könnte ohne Probleme auch digital geleistet werden. Dies böte zudem eine Option, einen Job in der Pflege auszuüben, wenn dies aus anderen Gründen nicht mehr möglich ist: zum Beispiel sind schwangere Pflegekräfte ab Bekanntwerden der Mutterschaft im Zwangsmutterschutz. Ob sie das wollen oder nicht.

Digitalisierung kann die persönliche und analoge Pflege nicht ersetzen. Sie kann sie aber ergänzen und unterstützen. Die Zielgruppe für digitale Angebote ist größer und affiner als gedacht. So gibt es in Deutschland ca. 3,2 Millionen Pflegebedürftige im Alter von 1-65 Jahren. Darunter viele, die digitale Angebote schon jetzt nutzen, um ihr Leben zu gestalten. Gutes User Experience Design wird umso wichtiger für eine gute Healthcare Experience.

9. DiPA, die kleine Schwester der DiGA. Mit viel Potential.

Seit Oktober 2022 gibt es für digitale Pflegeanwendungen (DiPA) ähnlich wie bei der großen Schwester der DiGA (digitale Gesundheitsanwendung) eine Verordnung, die Rahmenbedingungen für die Erstattungsfähigkeit definiert. Noch gibt es keine DiPAs im Verzeichnis des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das ist zum Teil wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der Gesetzgeber in Teilen die Erreichung aller Kriterien höher und kostenintensiver für Anbieter gestaltet hat, als bei der DiGA. Das ist für Anbieter wie HerzBegleiter eine Hürde.

Neben Beratungsleistungen können DiPAs dabei unterstützen, Mobilität zu erhalten. Wenn man bedenkt, dass jeder Pflegegrad auf irgendeine Weise meist mit der Verschlechterung der Mobilität zusammenhängt, ist das ein nicht unbeträchtlicher Beitrag.

10. In Leitplanken starten, statt auf die perfekte Struktur warten.

Deutschland hängt bei der Digitalisierung in vielen Bereichen hinterher. Jedoch sollte nicht darauf gewartet werden, bis die Politik alle Hürden aus dem Weg geräumt hat oder bis in der Telematik-Infrastruktur der letzte Service und die letzte Daten-Struktur spezifiziert ist. Wichtig ist, anzufangen – in Leitplanken und auf Interoperabilität bedacht, die es später ermöglicht, sich wieder zusammenzufinden, wenn alle Strukturen definiert sind.

Es braucht zum Beispiel mehr und bessere Digitalisierung in den Kliniken, um Pflege zu unterstützen. Ein besseres und digitales Entlassmanagement kann helfen, Pflege schneller und effektiver zu leisten. Langfristig kann mit mehr Telecare eine Pflege ermöglicht werden, die insbesondere in strukturschwachen Regionen zu einem echten Game-Changer in der Gesunderhaltung werden kann. Es müssen dabei am Ende nicht immer die großen Plattformlösungen sein, sondern auch dezentrale in Quartierstrukturen organisierte Lösungen sind denkbar. Lösungen, bei denen die Daten zweckgebunden lokal genutzt werden.

 

Die 10 Takeaways nochmal zusammengefasst:

  1. Make Pflege sexy again.
  2. Das ist nicht genug, liebe Politik!
  3. Pflegekräfte aus dem Ausland. Möglich, aber keine Einbahnstraße.
  4. Pflege-Austausch und nicht nur Import.
  5. Health ohne ‘care’ ist zu kurz gedacht.
  6. Funktionierende Pflege schafft direkten volkswirtschaftlichen Nutzen.
  7. Digitalisierung to the rescue: Pflegekräfte sind keine Sachbearbeiter*innen.
  8. Hybrid hilft. Analoge mit digitaler Pflege kombiniert hilft allen.
  9. DiPA, die kleine Schwester der DiGA. Mit viel Potential.
  10. In Leitplanken starten, statt auf die perfekte Struktur warten.

 

Interessiert an einem Austausch zu diesen und weiteren Themen der Gesundheitsbranche? Dann jetzt für das nächste Healthcare Experience Meetup anmelden!

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