11/09/2023

Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit: Wie planetenzentriertes Design und Innovation Unternehmen zu langfristigem Erfolg führt

Autorinnen: Emily Eichenlaub & Cathleen Eberhardt

Planetenzentriertes Design und Innovation sind entscheidende Treiber für nachhaltigen Unternehmenserfolg, da sie nicht nur für ökologische Verantwortung stehen, sondern auch langfristige Gewinne generieren. Aber wie lässt sich durch diese Ansätze eine gewinnbringende Beziehung zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit schaffen? Die Digital Strategin Emily Eichenlaub und die Design Direktorin Cathleen Eberhardt ordnen das Thema ein.

Strategie und Design sollten nachhaltig sein

Die Bedeutung von Nachhaltigkeit im digitalen Service Design-Prozess ist angesichts des Klimawandels und anderer ökologischer Herausforderungen unbestritten. Eine Ergänzung der Nutzerzentrierung um eine Planetenzentrierung ist notwendig, um die Bedürfnisse von Gesellschaft und Natur in den Designprozess mit einzubeziehen. Eine stärkere Ausrichtung auf den Planeten bietet Unternehmen nicht nur die Möglichkeit, sich vom Wettbewerb abzuheben, sondern eröffnet auch neue Chancen und Geschäftsfelder. Sollten Unternehmen also plötzlich die Welt retten und sich neu ausrichten? Ja, ein bisschen schon.

Und ist das so einfach? Nein, leider nicht. Regulatoren fordern dies aber zunehmend und schaffen damit unmittelbare Anreize für Veränderung. Internationale Vorhaben wie die Sustainable Development Goals (SDGs) dienen oft als Vorläufer für nationale Regelungen. Immer mehr Unternehmen konkretisieren ihre Schritte zur Erreichung der SDGs in eigenen Reportings, wie beispielsweise einer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie. Ähnlich verhält es sich mit dem Gesetz zur Umsetzung der EU-CSR-Richtlinie (Corporate Social Responsibility) oder dem Nationalen Aktionsplan Menschenrechte, der darauf abzielt, globale Lieferketten nachhaltiger zu gestalten.

Nachhaltigkeit im Designprozess

Große Unternehmen müssen aufgrund ihres erheblichen Einflusses einen größeren Beitrag zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele leisten. Wie stellen Regierungen sicher, dass sie sich tatsächlich für eine nachhaltigere Zukunft einsetzen?

Emily: Tatsächlich ist es im Interesse der Regierungen, gerade große Unternehmen in das Vorhaben einer nachhaltigen Zukunft einzubeziehen. Aufgrund ihres erheblichen Einflusses können sie einen größeren Beitrag z.B. zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) leisten als kleine Start-ups trotz nahezu optimaler nachhaltiger Geschäftsmodelle. Viele ökologische Maßnahmen in der nachhaltigen Wirtschaft gehen aber direkt mit wirtschaftlichen Vorteilen einher, da sie oft auf Effizienzgewinne abzielen, wie beispielsweise das Recycling von Rohstoffen.

Ist „Green Business“ denn gleich „Good Business“?

Emily: Nicht direkt, die Aussage „Green Business ist gleich Good Business“ wurde zwar oft als Grundlage für die Argumentation verwendet, dass nachhaltige Geschäftspraktiken automatisch zu wirtschaftlichem Erfolg führen. Es gibt aber verschiedene Perspektiven auf die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und Geschäftserfolg. Einige argumentieren, dass Nachhaltigkeit langfristig zu Kosteneinsparungen, verbessertem Markenimage und erhöhter Kundennachfrage führen kann. Unternehmen, die frühzeitig auf Nachhaltigkeit setzen, können auch von regulatorischen Vorteilen profitieren und sich als Vorreiter in ihrer Branche positionieren.
„Green sein“ ist für viele Unternehmen in der heutigen Zeit zunehmend relevant, aber es ist wichtig, die Umstände und Auswirkungen auf das jeweilige Geschäftsmodell sorgfältig zu prüfen, um zu bestimmen, ob es tatsächlich ein „gutes Geschäft“ darstellt. In einigen Fällen ist der Markt beispielsweise gar nicht bereit, einen Aufpreis für nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen zu zahlen.

Cathleen: Das Konsument*innenverhalten ist jedenfalls vielversprechend. Drei von vier Konsument*innen in einer Studie des Institute for Business Value geben an, mehr für einen nachhaltigen Lebensstil tun zu wollen, wie z.B. den Wasser- und Energieverbrauch zu reduzieren, mehr zu recyceln, etc. Etwa die Hälfte der Verbraucher*innen weltweit gibt an, im Durchschnitt einen Aufpreis von 59 % für Produkte zu zahlen, die als nachhaltig oder sozial verantwortlich gekennzeichnet sind. Das zeigt, dass Konsument*innen durchaus bereit sind, Nachhaltigkeit mit ihrem eigenen Portemonnaie zu unterstützen.

Viele Unternehmen betrachten Nachhaltigkeit bereits als eine der höchsten Prioritäten, aber haben gleichzeitig Schwierigkeiten, Nachhaltigkeitsziele und -strategien erfolgreich umzusetzen. Welche Faktoren und Positionen spielen deiner Meinung nach eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer fundierten Geschäftsstrategie, die langfristige Wertschöpfung durch Nachhaltigkeit ermöglicht?

Emily: Das stimmt, eine IBM Studie ergab, dass mehr als 80 % der Geschäftsführer*innen erwarten, dass Nachhaltigkeitsinvestitionen innerhalb von fünf Jahren zu besseren Geschäftsergebnissen führen. Aber die Art dieser Ergebnisse ist noch fraglich. Mehr als die Hälfte der Geschäftsführer*innen nannte eine unklare Kapitalrendite und wirtschaftliche Hindernisse als größte Herausforderungen bei der Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen. Die Einbindung dieser Ziele in umfassendere strategische Ziele von Anfang an kann wiederum dazu beitragen, den durch Nachhaltigkeit geschaffenen Geschäftswert zu verdeutlichen.

Emily: Meiner Meinung nach hängt der Erfolg von nachhaltigen Geschäftspraktiken von verschiedenen Faktoren, wie der Branche, dem Marktumfeld, der Unternehmensstrategie und der Umsetzung ab. Außerdem kann eine Umstellung auf nachhaltige Praktiken auch mit kurzfristig hohen Kosten und Herausforderungen verbunden sein. Nachhaltige Initiativen können das Kerngeschäft eines Unternehmens beeinflussen und erfordern möglicherweise umfassende Veränderungen in der gesamten Wertschöpfungskette.
Wir bei IBM iX sehen Nachhaltigkeit als ganzheitlichen Ansatz, indem wir z.B. spezifische und messbare Nachhaltigkeitsziele setzen, verschiedene Interessengruppen miteinbeziehen und digitale Lösungen und Prozesse nachhaltig designen.

Welche Maßnahmen ergreift IBM iX, um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeit im Unternehmen holistisch betrachtet wird?

Cathleen: Wir machen mit Kund*innen das Thema Nachhaltigkeit zu einer gemeinsamen Verantwortung. Wenn die Verantwortung für Nachhaltigkeit einer einzelnen Person übertragen wird – sei es einem Chief Sustainability Officer oder einer anderen Führungskraft –, wird dies nicht zu dem umfassenden Wandel führen, den die meisten Unternehmen vollziehen müssen, um ihre Ziele zu erreichen.

Emily: Trotzdem glaube ich, dass es an der Spitze beginnt, mit jenen Führungskräften, die mehr direkte, kollektive Verantwortung für die Nachhaltigkeitsagenda übernehmen. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass Unternehmen diesen Ansatz übernehmen. So nannten CIOs das Thema Nachhaltigkeit als den Bereich, von dem sie in den nächsten drei Jahren den größten Einfluss auf Technologie erwarten.

Cathleen: Übrigens gewinnt das Thema Nachhaltigkeit auch bei (potentiellen) Arbeitnehmer*innen an Bedeutung. Studien zeigen, dass nachhaltige Unternehmen bei Bewerber*innen mehrheitlich als Arbeitgeber bevorzugt werden. Auch bei IBM iX beobachten wir einen Wertewandel von Young Professionals/Gen Z. Sie wollen die Zukunft positiv mitgestalten und wünschen sich von ihrem Arbeitgeber deshalb auch Innovationskraft und ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf Nachhaltigkeit gibt es bei IBM iX?

Cathleen: Zum einen gibt es im Unternehmen eine Arbeitsgruppe, die daran arbeitet, unseren Alltag als Agentur nachhaltiger zu gestalten. Hier können sich Mitarbeitende aktiv einbringen. Darüber hinaus bieten wir regelmäßig Trainings an, in denen unsere Mitarbeitenden lernen, Design Thinking Methoden gezielt für die Entwicklung nachhaltiger Produkte einzusetzen. Diese Trainings ermöglichen es uns, Kund*innen zu helfen, nachhaltiger und damit zukunftsfähig zu agieren. Interesse weckt das Training nicht nur bei Designer*innen. Vom Technical Architect über Project Lead bis hin zu Kolleg*innen aus unserem People Team — Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Professions nehmen daran teil. Das ist wunderbar, weil es zeigt, dass wir selbst auch Nachhaltigkeit als ein kollektives, multidisziplinäres Thema begreifen, für das jede*r Verantwortung übernehmen kann.

Energiegemeinschaften der Zukunft

Wie hilft IBM iX Unternehmen dabei, eine nachhaltige Transformation anzugehen?

Cathleen: Die größte Herausforderung liegt im Mangel an Erkenntnissen aus Daten sowie technologischen Barrieren. Digitale Technologien wie KI, Cloud oder Blockchain können Unternehmen dabei unterstützen, auf die Daten und Erkenntnisse zuzugreifen, die sie für eine nachhaltige Betriebsführung und zur Förderung von Innovationen benötigen. Fortgeschrittene Datenverwaltungsfunktionen, die durch offene Standards und Interoperabilität unterstützt werden, spielen ebenso eine große Rolle bei der Verbesserung der Nachhaltigkeitsergebnisse. Hier steht IBM iX als erfahrener Beratungspartner zur Seite.

Emily: Übrigens ermöglicht KI auch eine effizientere Nutzung von Ressourcen und Energie. Durch die Analyse großer Datenmengen kann KI helfen, ineffiziente Prozesse zu identifizieren und zu optimieren. Die Kombination von Datenanalyse, maschinellem Lernen und IoT-Technologien ermöglicht es, umweltfreundliche Strategien zur Energieeffizienz und Optimierung der Logistikketten zu entwickeln. Dies trägt zur Reduzierung des CO₂ -Ausstoßes bei und unterstützt gleichzeitig die Nachhaltigkeitsziele.

Ist Digitalisierung also das Allheilmittel für Nachhaltigkeit?

Cathleen: Digitale Produkte und Technologien selbst sind nicht frei von negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Da diese Auswirkungen aber häufig nicht Teil der Zielstellung eines digitalen Produktes sind, werden sie auch nicht erhoben und bleiben somit unsichtbar. Und da wären wir wieder bei der Frage, wie Nachhaltigkeit im Unternehmen verankert ist.
Wenn Unternehmen nachhaltiges Wirtschaften ernst nehmen, dann muss das auch im Digitalen gelebt werden. Nicht nur die Conversion Rate muss stimmen, sondern es muss auch der CO₂ Ausstoß durch Betrieb und Nutzung digitaler Produkte auf ein Minimum reduziert werden. Immerhin verursacht das Internet 1,6 Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr. In der Zukunft ist nicht auszuschließen, dass es – ähnlich wie beim Thema Barrierefreiheit – zu regulatorischen Anforderungen bzgl. der Nachhaltigkeit von digitalen Produkten kommt. Auch vor diesem Hintergrund sollten sich Unternehmen damit beschäftigen.

Welchen Beitrag kann Design leisten?

Cathleen: Designer*innen können in verschiedenen Phasen des Designprozesses darauf hinwirken, dass neben Business- und Nutzerzielen auch die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft berücksichtigt werden. Eine Studie der Europäischen Kommission belegt, dass 80 % der Umweltauswirkungen eines Produkts in der Designphase entstehen, d. h. zu Beginn eines Projekts, wenn entschieden wird, was für ein Produkt überhaupt entstehen soll. Hier arbeiten wir mit einem Design Thinking Framework, das darauf angelegt ist, nicht nur nutzerzentrierte, sondern auch nachhaltige Lösungen für Problemstellungen zu finden. Das Framework basiert auf dem Enterprise Design Thinking von IBM. Es hilft Teams dabei, Herausforderungen, Nutzerverhalten, Ideen und Lösungen nicht nur durch eine Nutzerbrille, sondern auch durch eine Nachhaltigkeitslinse zu betrachten und damit sichtbar und diskutierbar zu machen. Und auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn eine Idee bereits ausgestaltet wird, kann Design — übrigens ohne nennenswerten Mehraufwand — zu einem nachhaltigeren digitalen Produkt beitragen, indem einfache Gestaltungsrichtlinien befolgt werden. Häufig werden dadurch auch andere Qualitätsmerkmale wie Barrierefreiheit, Usability und Ladezeiten optimiert.

IBM Design for sustanability

Zukunftsfähigkeit nur durch Nachhaltigkeit

Im Gespräch mit Cathleen und Emily wird deutlich, wie dringend es ist, nachhaltige Praktiken in Unternehmen und Gesellschaft zu fördern, um langfristige Wertschöpfung und einen positiven Einfluss auf die Umwelt zu erreichen. Dieses Interview soll nicht nur zum Nachdenken anregen, sondern auch dazu ermutigen, konkrete Schritte in Richtung Nachhaltigkeit anzugehen. Jede*r von uns kann einen Beitrag leisten, sei es durch bewussteres Konsumverhalten, nachhaltiges Wirtschaften oder durch das Einbringen von Ideen und Innovationen.

Über die Interviewten

Cathleen Eberhardt ist Design Direktorin mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in Experience Design und führt bei IBM iX die Arbeitsgruppe „Design for Sustainability“.
Emily Eichenlaub ist Digitalstrategin und Businessdesignerin mit einem starken Fokus auf Nachhaltigkeit. Ihr Schwerpunkt liegt in der Gestaltung nachhaltiger Strategien und deren Integration in Geschäftsprozesse und Projekte.
Unter anderem geben die beiden zusammen das interne „Training für Sustainable Enterprise Design Thinking“ und „Lunch & Learn Sessions“ zum Thema Nachhaltigkeit.

 

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