2021/12/16

Bottom Up statt Top Down: Für Diversität & Inklusion sensibilisieren

Wie man Diversität und Inklusion mit der Kraft einer Fokusgruppe im Unternehmen etablieren kann – ein Erfahrungsbericht.

Diversität (engl. Diversity) steht inzwischen bei vielen Unternehmen auf der Agenda. Die Black-Lives-Matter-Bewegung und speziell der Tod von George Floyd haben verschiedenen Initiativen seit 2020 viel Aufwind gegeben. Die gesellschaftliche Thematisierung rassistischer Vorfälle hat dafür gesorgt, dass neben Privatpersonen auch Organisationen Stellung nehmen und verstärkt an den Themen Diversität und Inklusion arbeiten. Auch für das Aperto, IBM iX Studio Berlin waren diese Ereignisse der Anstoß, die Verantwortung als Unternehmen zunächst in puncto Rassismus neu zu definieren und daraufhin den übergeordneten Themen Diversität und Inklusion mehr Aufmerksamkeit zu widmen. In diesem Beitrag schildere ich, Katrin Johl (People Partner bei – IBM iX) den Weg unserer Agentur zu mehr Sensibilisierung und Sichtbarkeit für diese Themen. Dabei spreche ich insbesondere aus meiner praktischen Erfahrung als Moderatorin und Gründungsmitglied der unternehmensinternen Fokusgruppe Diversity & Inclusion (D&I).

Rassismus im eigenen Unternehmen?

Diversität und Inklusion umfasst viele Gruppen und Anliegen (wie bspw. BIPoC, LGBTQIA+, Empowerment für Frauen, Menschen mit Behinderungen, etc). Bei Aperto stellten wir Ende 2020 das Thema Rassismus in den Mittelpunkt unseres Engagements. Wir erkannten es als wichtiges und dauerhaft aktuelles Thema, mit dem wir uns im Unternehmen sensibel und selbstkritisch auseinandersetzen wollten. Dazu mussten wir zuerst den Status Quo erfassen und bewerten – und dabei dafür offen bleiben, auch Missstände und Fehler in der Unternehmenskultur zu finden und anzuerkennen. Der erste Schritt bestand darin, eine Begriffsdefinition zu finden, die alle Aspekte von Rassismus einschließt und auf deren Grundlage wir weiterarbeiten konnten. Wir stellten uns also die essenziellen Fragen: Was genau fällt unter den Begriff Rassismus? Wie zeigt sich rassistische Diskriminierung? Und an welchen Stellschrauben können wir in der Agentur ansetzen? Das Resultat dieser ersten Einschätzung: Natürlich gibt es auch in unserem Unternehmen Potenzial für Verbesserungen auf struktureller und individueller Ebene.

Vorarbeit für Vielfalt im Unternehmen: Diskussion  starten und Mitarbeiter*innen einbeziehen

Um als Unternehmen nach innen und außen effektiv handeln zu können, ist es notwendig, dass die Geschäftsführung mit an Bord ist, Antirassismus unterstützt und priorisiert. Dies war in unserer Agentur ab 2020 offiziell der Fall. Was dann noch fehlte, war eine Strategie. Wir brauchten einen ehrlichen Austausch innerhalb des Unternehmens darüber, wo wir überhaupt standen und was wir erreichen wollten. So fiel schnell die Entscheidung, das Thema Diversität und Inklusion nicht top-down aus der Führungsebene, sondern bottom-up aus der Mitte aller Kolleg*innen anzugehen.

Das Ergebnis: Im August 2020 fanden sich nach einem unterehmensinternen Aufruf über unseren Messenger Slack zwölf Kolleg*innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zusammen und gründeten die Fokusgruppe Diversity & Inclusion.  Alle waren motiviert, ihre beruflichen Erfahrungen und ihre diversen persönlichen Hintergründe mit in die Diskussion einzubringen.

Erster Schritt bei der Arbeit als Fokusgruppe: Mission festlegen und Emotionen zulassen

Am Anfang hat es geknirscht und gekracht. In der ersten Session wurde hitzig darüber diskutiert, in welche Richtung unsere Arbeit gehen sollte. Es gab sehr unterschiedliche Erwartungen an die Fokusgruppe, ihre Zielsetzung und Aufstellung: Sollte als Gruppenmoderator*in eine externe Person mit  Fachexpertise im Bereich Diversität und Inklusion herangezogen werden oder jemand aus dem eigenen Unternehmen? Sollten Personen in Machtpositionen – wie die Mitglieder der Geschäftsführung – mitdiskutieren können? Würde die Fokusgruppe ausschließlich über Rassismus oder auch über andere Formen der Diskriminierung und weitere D&I-Themen wie LGBTQIA+, Barrierefreiheit oder Inklusion von Menschen mit Behinderung sprechen? Und welches Ziel sollte die Fokusgruppe verfolgen?

Nach der ersten wichtigen Session konnten alle Gruppenmitglieder anonym über ein internes Umfragetool Feedback geben. Ich selbst reflektierte meine Rolle als Ally (engl.: Verbündete bzw. Unterstützerin) und legte meine Motivation, die Projektgruppe voranzutreiben, dar. Auf dieser Grundlage konnte ich die Rolle als Projektleiterin und Moderatorin im Einverständnis der Gruppe annehmen und ausführen, obwohl ich nicht selbst von Rassismus betroffen bin. Das Feedback zur möglichen Zielsetzung der Gruppe werteten alle Mitglieder gemeinsam aus und schätzten auf demokratischer Basis ein, was Anliegen zum Thema Diversität und Inklusion in unserem Unternehmen wären – kurz-, mittel- und langfristig.

Zweiter Schritt bei der Arbeit als Fokusgruppe: Fokus finden und Rollen verteilen

Am Anfang mussten wir uns als Gruppe bremsen, nicht alle Themen und Ziele auf einmal anzugehen. Wir gingen pragmatisch vor: Zuerst definierten wir gemeinsam, was Rassismus ist, und untersuchten danach, welche Formen von Rassismus die Gruppenmitglieder im Unternehmen, im privaten Umfeld und in der Öffentlichkeit bereits beobachtet oder selbst erfahren hatten.

Rassismus: Die Definition unserer Fokusgruppe

Rassismus gründet sich auf rassistischen Vorurteilen und Macht. Er tritt auf zwischenmenschlicher Ebene unter Individuen auf und ist in Organisationen und Institutionen durch Richtlinien, Verfahren und Maßnahmen eingebettet.

Individueller Rassismus

Individueller Rassismus basiert auf persönlichen Handlungen, bewussten und unbewussten Annahmen oder Überzeugungen und geschieht auf zwischenmenschlicher Ebene (z. B. in der U-Bahn, am Arbeitsplatz, im Kaufhaus usw.).

Institutioneller Rassismus

Institutioneller Rassismus besteht aufgrund von Traditionen, Gesetzen, Normen und Maßnahmen (z. B. Racial Profiling).

Struktureller Rassismus

Struktureller Rassismus zeigt sich im erschwerten Zugang der Betroffenen zu sozialen Ressourcen (z. B. auf dem Wohnungsmarkt, dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem).

Wir entwickelten eine Roadmap zur Zielsetzung und hinterlegten die einzelnen Tasks in unserem Projektmanagement-Tool „Jira“. Jede einzelne Aufgabe priorisierten wir nach Dringlichkeit und Machbarkeit und hinterlegten ein Gruppenmitglied (Owner), das sich dafür verantwortlich erklärte, in einem abgesteckten Zeitrahmen alle notwendigen To-dos umzusetzen. Dabei mussten wir uns auf das Machbare in unserem Unternehmen beschränken. Eine flächendenkende interne Analyse zum Thema konnten wir beispielsweise nicht leisten, da uns dazu noch die Expertise fehlte. Ich als Moderatorin/Facilitatorin hatte Status und Fortschreiten unserer Arbeit im Blick und gab unserer Geschäftsführung Auskunft. Ich achtete darauf, dass die Owner der einzelnen Tasks neben ihrer Arbeit auch ihre To-dos übernehmen konnten und musste im Zweifel mit der Gruppe die Tasks repriorisieren, Aufgaben neu verteilen und vieles selbst vorantreiben. Das übergreifende Motto unserer Roadmap zu Diversität und Inklusion lautete: Erst Awareness, dann Marketing. Es war uns wichtig, erst intern eine eigene Haltung und Maßnahmen zu entwickeln, bevor wir unser D&I Engagement nach außen sichtbar machen.

Abseits von Definitionen, strategischen Herangehensweisen und pragmatischen Überlegungen geht es uns bei der unternehmensweiten Auseinandersetzung mit Rassismus um das menschliche Grundbedürfnis nach Fairness und Teilhabe. Das bedeutet, dass wir als Agentur allen Menschen unabhängig von ihren äußerlichen Merkmalen, ihrer Herkunft, ihrer Geschlechtsidentität, einer Behinderung etc. den Einstieg in unser Unternehmen und echte Karrierechancen, d.h. das Besetzen von Schlüsselpositionen, ermöglichen wollen.

Dritter Schritt bei der Arbeit als Fokusgruppe: mit externen Expert*innen und Initiativen vernetzen

Unsere Roadmap und die Ziele unserer Fokusgruppe haben wir frühzeitig von einer externen Expertin für Diversität und Inklusion begutachten lassen. Sie gab uns auch hilfreiche Tipps für die Implementierung dieser Themen in unserem  Unternehmen. Außerdem haben wir uns mit einer anderen Gruppe aus dem IBM-Netzwerk (IBM DACH Diversity Team) und einer externen Initiative (BIPoC Group DACH) vernetzt, mit denen wir uns bis heute regelmäßig austauschen. So gelang es ziemlich schnell, eine professionelle Arbeitsgrundlage für unsere Fokusgruppe zu schaffen, die von verschiedenen Seiten validiert war.

Erste Ergebnisse der Fokusgruppe: Awareness Training mit der Führungsebene und eine Meldestelle für Rassismus

Ein Wandel lässt sich am besten umsetzen, wenn die drei goldenen Ebenen des  „Change Managements“ mit einbezogen werden:

1. individuell: Welche verhaltensfördernden Maßnahmen lassen sich etablieren?

2. strukturell: Welche Auswahlprozesse können angepasst werden? und

3. kulturell: Positioniert sich das Unternehmen glaubhaft? Wer steht sichtbar dafür ein?

Um mit gutem Beispiel voranzugehen, nahm das komplette Management Board unseres Unternehmens und auch die obere Führungsebene im Mai 2021 an einem ersten Leadership Awareness Training mit dem Fokus Rassismus teil. Da die Geschäftsführung hinter der Roadmap unserer Fokusgruppe stand, konnten wir als erste Amtshandlung das „Team of Trust“ in der Agentur erweitern: Wir führten zusätzlich zu den bestehenden Ansprechpersonen eine  unternehmensinterne Ombudsstelle ein, die weiß, was zu tun ist – professionell und menschlich – wenn Mitarbeiter*innen rassistische Vorfälle beobachten oder unmittelbar erfahren. Dieses Team of Trust kennt die Eskalationswege und kann Sachverhalte schnell einordnen und die richtigen Ansprechpersonen informieren, um weitere Schritte einzuleiten.

Unsere Highlights nach einem Jahr Fokusgruppe Diversity & Inclusion: Events, Workshops, ein Leitfaden und viel organisationsweite Sichtbarkeit

Um im Zuge der Arbeit zum Thema Rassismus das übergeordnete Thema Diversität und Inklusion sichtbarer zu machen und die Mission unserer Fokusgruppe zu teilen, hosteten wir im Mai 2021 eine agenturinene monatliche  Veranstaltung – unsere „Family Night“ – unter dem Titel „The Power of Diversity“. Das war der Durchbruch des Themas im Unternehmen, wie viele Kolleg_innen uns zurückmeldeten. Wir hatten zu diesem digitalen Event Emilia  Zenzile Roig als externe Expertin zum Thema Intersektionalität eingeladen und läuteten mit ihrem Beitrag auch den Pride Month ein. Seither läuft eine interne Awareness-Kampagne auf Slack, die sich mit dem Thema LGBTQIA+ beschäftigt. Das Thema erhält viel Resonanz und gehört inzwischen ebenfalls zur Agenda unserer Fokusgruppe.

Doch auch über unsere Agentur hinaus trug unsere Arbeit Früchte: Unsere Kollegin Na-Young Lee arbeitete mit dem IBM Diversity DACH Team an einem IBM-internen Leitfaden für rassismuskritische Sprache. Dieser kürzlich erschienene Leitfaden ist wegweisend für eine gewaltfreiere, wertschätzendere Sprache und inklusive Verhaltensmuster am Arbeitsplatz. Außerdem unterstützten wir das von IBM organisierte Bee Festival anlässlich des Internationalen Tages für Diversität und gaben mehrere Workshops zu den Themen gendersensible Sprache, Barrierefreiheit und kulturelle Diversität.

Diversität und Inklusion sind kein Trend, sondern eine notwendige Aufgabe

Nicht nur die Politik, die Wissenschaft und die Wirtschaft, sondern jedes Unternehmen, jede Führungskraft und alle Angestellten können dazu beitragen, dass Menschen aus marginalisierten Gruppen Schlüsselpositionen in Unternehmen besetzen können und besser inkludiert werden.

Für unser Unternehmen heißt das zum Beispiel, dass wir Job-Ausschreibungen inklusiver gestalten, bewusst mehr Menschen mit diversen Hintergründen einstellen und bei Nachwuchsförderprogrammen und Auswahlprozessen auf Diversität achten. In unserem Programm “Next Generation Leader” werden die Kandidat*innen bereits seit einigen Jahren in einem zweistufigen, anonymisierten Verfahren zunächst nach Leistung bewertet. Im zweiten Schritt des Auswahlprozesses wird bei gleicher Eignung zusätzlich auf (Gender-)Diversität geachtet. Dieses Verfahren findet intern großen Anklang und spornt uns an, kontinuierlich Programme “inklusiver” werden zu lassen.

Nach einem Jahr intensiver Arbeit in der Fokusgruppe kann ich sagen, dass wir schon eine Menge geschafft haben. Wir haben das Thema Diversität und Inklusion unternehmensweit bekannt gemacht und bereits viel Sensibilisierungsarbeit geleistet. Wir können daher authentisch auf Konferenzen mit diversen Zielgruppen auftreten und anschlussfähige Tech-Themen, zum Beispiel Barrierefreiheit, präsentieren. Wir arbeiten weiter an flächendeckenden Awareness-Trainings und Maßnahmen und daran, unsere Themen im Unternehmen nachhaltig zu platzieren und strukturell zu verankern. Zum Beispiel setzen wir uns dafür ein, Diversität und Inklusion in den Unternehmenszielen und persönlichen Zielen einzelner Fokusgruppen-Mitglieder festzuschreiben. Darüber hinaus wollen wir Personen mit Expertise in diesen Bereichen einstellen, um die Themen explizit voranzutreiben und auch in Zeiten von viel Projektarbeit nicht zu vernachlässigen.

Das Thema Diversität und Inklusion ist kein Trend, sondern eine integrale Aufgabe unserer Zeit, bei der es um die Teilhabe aller Mitarbeiter*innen und echte Chancengerechtigkeit geht. Und das geht nur gemeinsam. Wir wollen Diversität und Inklusion in die Herzen und Köpfe aller bringen – bei  IBM iX und darüber hinaus.

 

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