09/01/2025

Mikroaggressionen am Arbeitsplatz: 4 Bewältigungsstrategien für eine bessere Kommunikation

Two people sit at a table with drinks. One, wearing a white t-shirt, smiles while looking at a laptop. The setting has brick walls and large windows.

Mikroaggressionen am Arbeitsplatz sind oft subtil, aber dennoch tiefgreifend. Selbst kleine Bemerkungen können emotionalen Stress verursachen und das Arbeitsumfeld belasten. In diesem Blogpost zeigen wir, wie Mikroaggressionen entstehen und welche Auswirkungen sie auf die Kommunikation am Arbeitsplatz haben können. Entdecke mit uns zudem vier praktische Strategien, die den Weg zu mehr Empathie und Inklusion ebnen.

„Oh, dein Deutsch ist wirklich gut.“ Ein Satz, den viele Menschen in Deutschland nur allzu gut kennen dürften. Was auf den ersten Blick wie ein Kompliment wirkt, hat für viele längst an Leichtigkeit verloren.

Für Toni Shtereva, Advanced Visual Designer bei IBM iX, ist es ein Gefühl, das sie nur zu gut kennt. Seit 12 Jahren lebt sie in Deutschland, doch solche Kommentare begegnen ihr immer wieder – gut gemeint, aber oft mit einem bitteren Nachgeschmack. Denn sie erinnern sie daran, dass sie trotz all ihrer Bemühungen nie vollständig als Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird. Sie bleibt die „Zugezogene“.

Besonders POC, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, erleben solche Situationen immer wieder. Es sind scheinbar harmlose Bemerkungen, die jedoch tiefer wirken, als man auf den ersten Blick vermutet – sogenannte Mikroaggressionen. Diese kleinen Sticheleien des Alltags haben oft große Auswirkungen auf das emotionale Wohlbefinden der Betroffenen.

Um auf dieses Thema aufmerksam zu machen, hat IBM iX in der Reihe „Let’s Talk About Mental Health“ eine Plattform geschaffen. Gemeinsam mit der Mental-Health-Expertin Aurelia Hack hat Toni Shtereva nicht nur über Mikroaggressionen gesprochen, sondern auch ihre persönlichen Erfahrungen geteilt. Durch ihre Offenheit und praxisnahe Tipps entstand eine ehrliche, lebhafte Diskussion, die zum Nachdenken anregte – und zur Veränderung ermutigte.

Was sind Mikroaggressionen?

Mikroaggressionen sind subtile, oft unbeabsichtigte Handlungen oder Kommentare, die eine verletzende, vorurteilsbeladene oder stereotype Botschaft gegenüber marginalisierten oder Minderheitengruppen vermitteln.

Diese Äußerungen können viele Facetten der Identität einer Person betreffen – sei es der soziale Status, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung, die ethnische Herkunft, Muttersprache, das Alter, der Körpertyp, eine Behinderung oder die Religion.

Häufig entspringen Mikroaggressionen tief verwurzelten Vorurteilen und unbewussten Denkmustern. Auch wenn sie meist nicht böse gemeint sind, hinterlassen sie bei den Betroffenen Spuren – und tragen dazu bei, bestehende Ungleichheiten zu manifestieren.

Mikroangriffe sind gezielte, absichtliche Handlungen oder Bemerkungen, die darauf abzielen, eine Person bewusst zu verletzen. In einer Gesellschaft, die großen Wert auf Höflichkeit legt, kommen solche direkten Angriffe jedoch vergleichsweise selten vor.

Beispiele für Mikroangriffe:

  • annehmen, dass jemand aufgrund des Aussehens kein Deutsch spricht
  • die Haarstruktur oder Frisur zu kommentieren
  • vom Aussehen einer Person auf deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität schließen
  • die Leistungen oder Qualifikationen anhand der Identität anzweifeln

Mikrobeleidigungen sind indirekte oder subtile Bemerkungen, die Herkunft, Identität oder Fähigkeiten von Personen herabwürdigen. Oft sind sie als Komplimente oder sogar Witze getarnt.

Beispiele für Mikrobeleidigungen:

  • Witze über Herkunft oder Ethnizität machen
  • annehmen, dass jemand aufgrund des Werdegangs eine Vorzeigeminorität ist
  • jemandes exotisches Aussehen kommentieren
  • einer Person mit Behinderung sagen, dass deren Art damit umzugehen inspirierend ist
  • einer Transgender-Person sagen, dass einem das gar nicht aufgefallen wäre oder sie gar nicht so aussehen

Mikroentwürdigungen sind Kommentare, die marginalisierten Personen deren Erfahrungen oder Gefühle absprechen. Eine typische Bemerkung ist, dass jemand in einer Situation überreagiert.

Beispiele für Mikroentwürdigungen:

  • behaupten, dass jemandes sexuelle Orientierung nur einer Phase sei
  • jemanden fragen, woher sie wirklich kommen, obwohl sie sich als beispielsweise Deutsch identifizieren
  • annehmen, dass eine ältere Person kein technisches Verständnis hat (lesenswerter Beitrag zum Thema Ageismus)
  • mutmaßen, dass jemand etwas nur aufgrund deren Identität erreicht hat

 

Alltagsbeispiele und ihre Wirkung

Die offene Debatte während der Diskussionsreihe bestätigte, wie verbreitet Mikroaggressionen in ihren verschiedenen Formen in Alltagssituationen bei Familie, ehemaligen Arbeitgebern und Bekanntenkreisen auftreten. Ständige Unterbrechungen, Mansplaining, Kolleginnen nach dem Kinderwunsch zu fragen oder ihnen gar unterstellen, sie würden ihr Geld nur für Schuhe und Handtaschen ausgeben, sind Mikroaggressionen, die sie mit den anderen teilten.

Auch vermeintliche Witze können unangemessen sein. So erzählte Mental-Health-Expertin Aurelia, dass sie als Halbfranzösin immer wieder mit der Bemerkung konfrontiert wird, sie würde wohl am liebsten Frösche essen – eine Aussage, die längst nicht mehr lustig ist, sondern schlicht respektlos.

Mikroaggressionen können sogar noch subtiler sein, wie ein Teilnehmer eindrucksvoll bewies. Schon ein unpassendes Emoji im Chat oder in einer E-Mail, das von anderen aufgegriffen und so zum wiederkehrenden Dauerwitz wird, kann extrem verletzend sein.

Viele Menschen bemerken nicht einmal selbst, dass sie eine Linie überschritten haben. Vielmehr bestätigen die Teilnehmenden, dass dies auch oft eine unbewusste, wenn auch ungesunde, Bewältigungsstrategie ist, um beruflich stressige Situationen zu verarbeiten. Die Folge ist oft eine raue Reaktion.

Diese Beispiele zeigen, wie Mikroaggressionen oft unbewusst auftreten und dennoch tiefe Spuren hinterlassen können. Doch nicht jede unangenehme Situation ist gleich eine Mikroaggression. Häufig liegen Missverständnisse und fehlende Sensibilität zugrunde. Um solche Situationen besser einzuordnen, ist es wichtig, Misskommunikation zu verstehen.

Wo entsteht Misskommunikation?

Misskommunikation entsteht häufig durch kulturelle und soziale Differenzen oder unterschiedliche persönliche Hintergründe.

Kulturelle Unterschiede

Unsere kulturelle Herkunft beeinflusst die Art, wie wir kommunizieren, z.B. direkt oder indirekt. Länder wie Deutschland schätzen Klarheit während in Kulturen wie der japanischen Andeutungen oder Zurückhaltung als höflicher gelten. Eine direkte Aufforderung könnte als unhöflich wahrgenommen werden, eine indirekte Anspielung hingegen nicht als solche verstanden werden.

Das gleiche gilt für die Interpretation der Körpersprache und des Augenkontakts: In einigen Kulturen gilt intensiver Augenkontakt als Zeichen von Interesse und Respekt, während andere (z.B. asiatische Kulturen) es als Respektlosigkeit sehen.

Soziale Differenzen

Verschiedene soziale Hintergründe führen zu unterschiedlichen Erwartungen und Werten. Ein Beispiel ist die Verwendung von formellen oder informellen Anreden in verschiedenen sozialen Klassen oder professionellen Kontexten.

In Deutschland kann das Duzen sowohl als respektlos als auch vertrauensstiftend interpretiert werden, je nach sozialem Gefüge. Das Siezen gilt gemeinhin als höflich, doch besonders Jüngere fühlen sich dadurch oft unnötig alt und unwohl.

Persönliche Hintergründe

Persönliche Erfahrungen und Vorstellungen formen unsere Wahrnehmung und Interpretation von Aussagen und führen zu unterschiedlichen Reaktionen. Beispielsweise könnte jemand mit negativen Erfahrungen in einem bestimmten Bereich (z.B. Diskriminierung) sensibler auf Bemerkungen reagieren als jemand ohne diese Erlebnisse.

Auch der eigene Kommunikationsstil kann zu Missverständnissen führen. Introvertierte kommunizieren öfter mit Bedacht, was leicht als Desinteresse interpretiert werden kann, während Extrovertierte unter Umständen für aufdringlich gehalten werden.

 

Die möglichen Folgen von Mikroaggressionen und Misskommunikation

Mikroaggressionen wirken sich negativ auf die Psyche und unsere Emotionen aus. Betroffene haben womöglich einen erhöhten Stresspegel und sind frustriert. Auch langfristig wird die mentale Gesundheit in Form von Ängsten, Depressionen und einem verminderten Selbstwert beeinträchtigt.

Durch Missverständnisse und Konflikte am Arbeitsplatz verschlechtern sich häufig der Teamzusammenhalt, die Zusammenarbeit und das Vertrauen ineinander, was zu einer Verringerung der Motivation und Produktivität der Betroffenen führen kann. Widersprüchliche Instruktionen oder Erwartungen können zu Verwirrung und dadurch Verzögerungen in der Aufgabenbewältigung führen.

Vier Strategien, um Mikroaggressionen und Misskommunikation zu verhindern

Selbstreflektion – die eigenen Bias identifizieren und hinterfragen

Es ist wichtig, die eigenen Gedankenmuster und potenzielle Voreingenommenheit wahrzunehmen, regelmäßig all seine Annahmen über andere zu hinterfragen, verschiedene Positionen einzunehmen, um das eigene Verständnis zu erweitern, und sich zu persönlichem Wachstum zu verpflichten. Man muss akzeptieren, dass das Erkennen und Ändern von Bias ein kontinuierlicher Prozess ist.

Aktives Zuhören – unterschiedliche Perspektiven verstehen und anerkennen

Aktives Zuhören bedeutet, die Perspektive der anderen Person wirklich zu verstehen und durch gezielte Nachfragen Unklarheiten auszuräumen. Man sollte dem Gegenüber seine volle Aufmerksamkeit widmen, ohne Unterbrechungen, und das Gesagte paraphrasiert zusammenfassen, um zu zeigen, dass
man verstanden hat.

Inklusive Sprache – sensible und respektvolle Worte wählen

Die Verwendung inklusiver Sprache hilft, eine respektvolle und einladende Umgebung zu gestalten, indem ausschließende oder unsensible Begriffe vermieden werden. Genderneutrale Begriffe sind besser, beispielsweise „Hallo Team“ anstatt „Hallo Jungs und Mädels“. Wörter, die Stereotype verstärken, gilt es zu vermeiden. Bei Unsicherheit kann das Gegenüber respektvoll gefragt werden, wie sie angesprochen werden möchten. IBM iX Berlin hat hierfür einen Leitfaden für alle Mitarbeiter*innen entwickelt.

Feedback-Kultur und verbesserte Kommunikationstechniken

Es gilt, eine Umgebung zu schaffen, in der Feedback offen, konstruktiv und respektvoll angebracht werden kann. Die Fokussierung sollte auf Verhaltensweisen, nicht auf persönlichen Attributen, liegen. Gute Ergebnisse werden gelobt, aber auch Probleme müssen gezielt angesprochen werden. Man muss sicherstellen, dass die eigenen Aussagen klar verständlich und bedacht sind, Empathie ist
gefragt. Auch die Körpersprache und der Ton sollten einem bewusst sein.

Weitere Tipps

Toni betont, dass man sich vor jedem Kommentar fragen sollte: Trägt das wirklich zur Situation bei? Wenn nicht, dann ist Schweigen oft die bessere Wahl. Empathie ist dabei unerlässlich. Falls ein unangebrachter Kommentar doch einmal fällt, sollte man nicht zögern, sich später zu entschuldigen. Allein das Eingeständnis von Fehlverhalten kann viel bewirken.

Verbündete, sogenannte Allys, spielen eine wichtige Rolle: Sie können unangemessenes Verhalten ansprechen und so ein Bewusstsein schaffen – gerade dann, wenn Betroffene sich unwohl fühlen, das Problem selbst zu thematisieren. Wichtig ist jedoch, dass alle Parteien offen miteinander sprechen, falls eine Bemerkung auch im Nachhinein belastet.

Gleichzeitig ist es essenziell, an der eigenen Resilienz zu arbeiten. Ein Teilnehmer merkte an, dass wir leider nicht in einer Welt leben, in der alle rücksichtsvoll miteinander umgehen. Daher ist es wichtig, sich selbst zu schützen und bewusst mit schwierigen Situationen umzugehen. Die momentane Stimmung spielt dabei oft eine entscheidende Rolle: In schlechter Laune können selbst harmlose Kommentare verletzend wirken. Hier kann es helfen, Dinge mit etwas Abstand zu betrachten.

Letztlich ist es nicht immer entscheidend, ob eine Bemerkung eine Mikroaggression oder ein Missverständnis war – entscheidend ist, dass sie bei jemandem ein schlechtes Gefühl ausgelöst hat. Der beste Weg, damit umzugehen, ist das offene Gespräch: Was hat mich verletzt? Wie nimmt mein Gegenüber die Situation wahr?

Wenn wir uns bewusst machen, wie stark selbst kleine Bemerkungen wirken können, und achtsamer miteinander umgehen, schaffen wir eine Grundlage für respektvollere und verständnisvollere Kommunikation.

 

Weiterführende Angebote

Biases Test: Implicit Association Tests

Derald Wing Sue: “Microaggressions in Everyday Life: Race, Gender, and Sexual Orientation”

Erin Meyer: “The Culture Map: Breaking Through the Invisible Boundaries of Global Business”

Kostenloser Online-Kurs: “Diversity and Inclusion in the Workplace” auf Coursera by the University of Virginia

Toni Shtereva

Toni Shtereva ist Advanced Visual Designerin bei IBM iX in Berlin und engagiert sich zusätzlich im Bereich Diversität & Inklusion.

Aurelia Hack

Aurelia Hack ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Expertin für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz (www.hackcorporatehealth.de).

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