06/08/2024

Ageismus verstehen: Warum Altersdiskriminierung ein wichtiges Thema ist

Autorin: Christina Schiffler

Wo tritt Altersdiskriminierung auf, warum sind davon alle Altersgruppen betroffen? Und was können wir dagegen tun? Christina Schiffler, Executive Director and IBM Design Principal bei IBM iX Berlin, schärft in diesem Beitrag das Bewusstsein für ein immer wichtiger werdendes Thema, das viele betrifft.

Seit ich im Berufsleben stehe, begegnen mir Stereotype: „Du bist zu jung, um diese Verantwortung zu tragen. Zu alt, um diese Transformation noch zu gestalten. In deinem Alter willst du doch bestimmt Kinder. Jenseits der 50 fällt das Lernen mit Sicherheit schwerer.“ Der Begriff für diese Art der Kategorisierung ist Altersdiskriminierung. Tatsächlich verwende ich lieber das englische „Ageism“. Es klingt in meinen Ohren positiver. Das hat mit der Gleichverwendung von Alter und Lebensalter im Deutschen zu tun – bei uns bezieht sich die Diskriminierung vermeintlich direkt auf Ältere. Dabei ist das nicht ganz korrekt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Ageism als ein vielschichtiges soziales Phänomen, das sich durch Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung definiert, die wir gegenüber anderen oder uns selbst allein aufgrund des Lebensalters haben. Zwar ist die moderne Übersetzung Ageismus der umfassendere und damit zutreffendere Fachbegriff, hat sich allerdings im deutschen Gebrauch noch nicht verbreitet durchgesetzt, sodass mitunter beide Varianten verwendet werden und das Gleiche meinen. Neu sind die Thematik und die damit zusammenhängenden Phänomene nicht. Als Begriff taucht Altersdiskriminierung ab den 1960er Jahren auf, hat in der Arbeitswelt sowie gesetzlich aber erst seit den 2000er Jahren mehr Aufmerksamkeit erhalten und im Zuge des rapiden technologischen Fortschritts nicht zuletzt während der Covid-Pandemie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Umstellung des Arbeitsalltags, der Umgang mit Technik und Tools hat dabei in der Wahrnehmung vor allem älterer Menschen eine immer stärkere Rolle gespielt. Historisch haben wir es in der Gesellschaft mit vielen Formen von Diskriminierung zu tun. Das Lebensalter als Ursache fand dabei lange Zeit weniger Beachtung.

Stereoptype & Vorurteile: Altersdiskrimierung kann alle betreffen

Auch ich war mir der Thematik und ihres Ausmaßes lange nicht bewusst. Mich damit zu beschäftigen und mich in unserem Unternehmen seit kurzem auch als Botschafterin für das Thema Ageism einzusetzen, hat mich dafür sensibilisiert und mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Um eins nochmal deutlich zu machen: Altersdiskriminierung gilt längst nicht nur Älteren, sie betrifft junge Menschen ganz genauso. Sie ist in Form von Klischees und Stereotypen über alt wie jung fest verwurzelt. Die Studie „Ageismus – Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die 2022 auf Basis einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass es insbesondere zwischen den Generationen ein großes Spannungspotenzial bei der gegenseitigen Wahrnehmung gibt. So seien ältere Menschen „zu wenig leistungsfähig“, „nicht anpassungsfähig“ oder „nicht fit genug“ für bestimmte Aufgaben und neue Arbeitsweisen. Jüngeren hingegen wird ein Mangel an Erfahrung, Souveränität und Zuverlässigkeit nachgesagt. Der von der WHO herausgegebene „Global Report on Ageism“ führt hierzu eine spannende und detaillierte Übersicht der Stereotypen und Vorurteile Alten wie Jungen gegenüber auf (im Online-PDF auf Seite 30). Vorurteilen dieser Art und der damit einhergehenden Diskriminierung liegen drei Prozesse zu Grunde:

  • Etikettierung – die Zuordnung einer Person zu einer Altersgruppe
  • Stereotypisierung – die negative Bewertung von Eigenschaften einer Personengruppe (hier: der Altersgruppe)
  • Diskriminierung – ein negatives Verhalten gegenüber der Person aufgrund der zugeordneten stereotypen Eigenschaften

Interessant ist, wie unterschiedlich die fiktive Altersgrenze im Rahmen der Studie zu Altersbildern und Altersdiskriminierung in Deutschland eingeschätzt wird. Für 27,2% der Befragten gilt 60 als das Alter, ab dem Menschen in unserer Gesellschaft als alt bezeichnet werden. 18,1% nannten 70 als das maßgebende Alter. 14,4% wiederum sahen Menschen ab 50 bereits als „alte“ Menschen an (Abb. 1, S. 7 im Handout zur Studie: Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland). Außerdem konnte im Rahmen der Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes festgestellt werden, dass sich Altersbilder stark in Abhängigkeit vom Alter der Befragten unterscheiden. So nehmen Jüngere das Problem der Altersdiskriminierung weniger wahr. Ältere wiederum beurteilen die gesellschaftliche Altersgrenze als deutlich höher.

Ageismus am Arbeitsplatz

Im Unternehmensumfeld zeigt sich Ageismus auf verschiedene Weise. Von Stellenanzeigen, die ältere Bewerber*innen mit Formulierungen wie „digital native“ oder „dynamisches Team“ subtil abschrecken, bis hin zu Leistungsbewertungen, die jüngere Mitarbeitende bevorzugen, kann Altersdiskriminierung unterschiedlich stark in der Unternehmenskultur verankert sein. Auffällig ist auch ein bestimmtes Altersgefüge abhängig von der Branche und dem Berufsfeld. Eine Digitalagentur beispielsweise beschäftigt im Schnitt wahrscheinlich deutliche jüngere Mitarbeitende als ein Finanz-oder Versicherungsunternehmen. Warum das so ist und warum verschiedene Berufsbilder bestimmten Altersgruppen zugeordnet werden, können Klischees sein und führt zurück zu den Stereotypen die historisch gewachsen und gesellschaftlich verwurzelt sind.

Aus meiner persönlichen Erfahrung und meiner Perspektive als ältere Führungskraft in unserem Unternehmen, spielt das Alter unserer Mitarbeitenden keine ausschlaggebende Rolle. Es kommt in erster Linie auf die fachliche Expertise und die menschlichen Faktoren an, die die Zusammensetzung unserer Teams bestimmen. Wie so oft, ist es die Mischung, die es macht. Wir alle können voneinander profitieren und lernen. Jede*r hat individuelle Stärken und Schwächen. Ich selbst gebe meine langjährige Arbeitserfahrung gerne weiter und unterstütze jüngere Kolleg*innen als Mentorin bei ihrem Wachstum. Genauso lerne ich andersrum auch selbst viel von Jüngeren dazu und schätze den Austausch auf Augenhöhe – unabhängig vom Alter. So entsteht eine Symbiose, die für unser dynamisches und innovatives Arbeitsumfeld bereichernd ist. Denn Erfahrung fördert Kreativität und so wie Jüngeren kreative Herangehensweisen nachgesagt werden, bringen ältere Mitarbeitende oft Wissen mit, das wiederum neue Lösungen inspirieren kann.

Was wir gegen Ageismus tun können

Um Ageism zu bekämpfen, müssen wir eine inklusive Kultur fördern, die Vielfalt in all ihren Formen, einschließlich des Alters, wertschätzt. Wir bei der IBM iX in Berlin haben dafür ein Diversity & Inclusion Programm, das unter anderem für das Thema Ageism Bewusstsein schafft und sich über so genannte Botschafter*innen, Advocates, dafür stark macht. Für uns, aber auch gesellschaftlich, geht es darum, auf verschiedenen Ebenen gegen Klischees, Stereotypen und Vorurteile anzugehen indem wir:

  1. Bewusstsein und Bildung fördern
    Mitarbeitende über Ageismus und seine Auswirkungen aufklären. Bewusstsein ist der erste Schritt zu Veränderungen.
  2. Inklusive Richtlinien umsetzen
    Sicherstellen, dass Einstellungspraktiken und Arbeitsplatzrichtlinien altersinklusive sind. Einen Umgang und eine Unternehmenskultur pflegen, die alle Altersgruppen willkommen heißt und Vielfalt fördert.
  3. Erfahrung wertschätzen
    Die Beiträge älterer Mitarbeiter*innen anerkennen und einbeziehen, indem wir Möglichkeiten schaffen, Wissen zu teilen und andere zu mentorieren.
  4. Lebenslanges Lernen fördern
    Kontinuierliche Bildung und Weiterentwicklung für Mitarbeitende jeden Alters unterstützen. Dies prägt Umgebung und Arbeitsumfeld, indem sich Wachstum und Anpassungsfähigkeit auf natürliche Weise entwickeln.

Mehr Bewusstsein schaffen

Ageism, Altersdiskriminierung bzw. Ageismus ist oft unsichtbar und dennoch im Alltag und in unserem Denken verankert. Betroffen sind wir alle in irgendeiner Form, manchmal mehr und manchmal weniger. Unterbewusst handeln, bewerten und vergleichen wir uns und unsere Mitmenschen ständig miteinander oder mit unseren Stereotypen. Es ist schwer, diese unsichtbaren Barrieren aufzulösen, aber indem wir uns damit auseinandersetzen und unser Bewusstsein dafür öffnen, können wir uns selbst und unseren Mitmenschen helfen, einander besser zu verstehen, sich wertzuschätzen und voneinander zu lernen. Damit fördern wir Diversität und eine inklusive Kultur – nicht nur am Arbeitsplatz.

Über die Autorin

Christina Schiffler leitet im IBM iX Studio Berlin einen Branchencluster und die Digital Marketing & Communication Practice mit dem Schwerpunkt Content- und Medienproduktion. Sie ist Kreativstrategin, Kommunikationsexpertin und gelernte Journalistin mit über 25 Jahren Berufserfahrung.

Christina Schiffler

Executive Director & IBM Design Principal, IBM iX Berlin
christina.schiffler@ibmix.de

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