18/07/2023

Ein unterschätzter Wachstumstreiber im Energiemarkt: Die Customer Experience

Grafik mit einem Mensch vor einem Energie-Grid zum Thema Customer Experience im Energiesektor

Zwischen der Energiebranche und ihren Endkund*innen war das Verhältnis lange eher distanziert – oft traf man allenfalls einmal im Jahr zum Zählerablesen aufeinander. Entsprechend sind viele Energieunternehmen überzeugt, dass das Thema Customer Experience jenseits von Serviceportalen für sie nur eine geringe Relevanz besitzt. Doch hier schlummert enorm viel unterschätztes Potenzial, denn im Rahmen der Sektorenkopplung entsteht ein übergreifendes Energie-Ökosystem, in dem man sich nur mit einer guten digitalen Experience durchsetzen kann.

Die prägenden Schlagworte der Energiewirtschaft – wie Dekarbonisierung, Sektorenkopplung, Smart Grid – klingen oft technisch und abstrakt. Ihre Folgen reichen aber weit in den Alltag der Menschen hinein und ihr Erfolg hängt fundamental davon ab, alle Beteiligten entlang der gesamten Kette von Produktion über Speicherung bis Konsum in die neue Energiewelt einzubinden.

Diese Einbindung und das damit verbundene Erlebnis steht jedoch im extremen Kontrast zum „klassischen“ Energie-Versorgungsgeschäft. Dieses hat sich – anders als jeher kund*innen-orientierte Branchen wie die Konsumgüterindustrie – nie durch eine besonders enge Beziehung zu den Endkund*innen ausgezeichnet. Im digitalen Bereich endete das Engagement der Energiebranche lange Zeit bei der Bereitstellung von Serviceportalen oder der elektronischen Übermittlung des Zählerstandes.

Die Sektorenkopplung schafft Wachstumsfelder – und neuen Wettbewerb

In der Bugwelle der Energiewende entsteht aktuell ein Service-Vakuum rund um versorgungsnahe Themen wie eMobilität, Energiemanagement und dezentrale Energieproduktion („Prosumer“). Dieser neue Markt birgt enormes Wachstumspotential für Energieunternehmen – aber nicht nur für sie.

Ein gutes Beispiel ist der Heimspeicher-Markt, der in Deutschland in den letzten Jahren ein exponentielles Wachstum hingelegt hat: Von 124.000 installierten Speichern im Jahr 2018 auf knapp 630.000 im Jahr 2022 (PV-Magazin). Um diese Nachfrage zu bedienen, sind zahlreiche neue Unternehmen entstanden. Auffällig an ihnen allen ist die Bedeutung digitaler Kanäle bei der Gestaltung ihrer Beziehung zu Kundinnen und Kunden: So ergänzt das 2010 gegründete Unternehmen Sonnen den Verkauf von Speicher- und PV-Lösungen etwa um die Aggregation und Vermarktung dezentral erzeugter Energie in der „sonnenCommunity“. Dies ermöglicht nicht nur eine enge Bindung auf Basis einer appgestützten digitalen Experience („Das erste globale Energiesystem mit Wir-Gefühl“), sondern auch ein neues Geschäftsmodell.

Die jüngste Integration von E-Autos als Energiespeicher für selbst erzeugten Strom veranschaulicht, wie Sonnen dabei Stück für Stück seine Claims im neuen Energieökosystem absteckt: Von einer lokalen Speicherlösung im Allgäu bis hin zu einem breiten Produkt- und Serviceportfolio, das neben Speicherprodukten und der Aggregation von PV-Strom zum Beispiel auch ein E-Auto-Abo und einen Stromtarif enthält – alles aus einer Hand.

Die Wichtigkeit digitaler Kanäle zeigt sich auch bei anderen Aspekten des neuen Energie-Ökosystems, etwa im Bereich des Home Energy Managements. Auf dieses zielt das von Ex-Tesla-Deutschland-Chef Philipp Schröder 2021 gegründete Unternehmen 1komma5* ab. Die Idee: Die Vernetzung all der für die dezentrale Energieerzeugung notwendigen Einzelbausteine rund um Produktion, Speicherung und Verbrauch durch die intelligente loT-Plattform „Heartbeat“. Aus komplizierten Einzelentscheidungen wird so für Hausbesitzerinnen und -besitzer ein intelligent vernetztes Energiesystem mit Effizienzgarantie – benutzungsfreundlich zentral gesteuert per App.

Die Energiewende verunsichert – digitale Services geben Guidance

Beide Beispiele reagieren im Kern auf einen übergreifenden Kund*innen-Need, der nicht neu ist, aber zunehmend drängender wird: So berichtet eine Studie des BDEW (2017, Digitalisierung aus Kundensicht), dass Kund*innen mit der der Energiewende vor allem ein Gefühl der Unsicherheit verbinden (Zitat aus der Studie: „Also wenn ich mich da jetzt auch noch drum kümmern muss, das wird mir einfach zu viel“). Digitale Services werden von ihnen als eine Möglichkeit gesehen, Überblick und Souveränität zu gewinnen in Anbetracht all der Komplexität. Sie sind längst Teil der Lebenswelt in praktisch allen Bereichen geworden. Genau darauf zielen Unternehmen wie 1komma5* ab: Vereinfachung und Kontrolle für Nutzende durch eine gute (digitale gestützt) Experience.

Das Service-Vakuum rund um energienahe Themen füllen dabei nicht nur junge Unternehmen, auch etablierte Akteure haben den Wachstumsmarkt erkannt: Insbesondere die Automobilindustrie mit ihrer natürlichen Nähe zum Thema E-Mobilität ist ein neuer Konkurrent: Volkswagen bietet mit „Elli“ bereits seit 2018 nachhaltigen Strom an und möchte ein „nahtloses und ganzheitliches Lade- und Energieerlebnis“ bieten. Renault möchte ab 2024 unter der eigenen Mobilitätsmarke Mobilize, Eletktroauto-Käufer*innen einen Zusatzservice anbieten, der die Batterie des Autos während dessen Standzeiten dem Energiemarkt zu Verfügung zu stellt – das schafft dezentrale Puffer für das Stromnetz und verspricht Vermarktungserlöse von bis zu 600 Euro jährlich für E-Auto-Fahrer*innen. Gesteuert wird der Service durch eine App des spezialisierten Dienstleisters The Mobility House.

Kund*innen entscheiden sich für das beste Erlebnis – egal von wem

Die Zeichen stehen also auf Wachstum und die Sektorenkopplung hat ein Eldorado an Marktchancen geschaffen. Also alles gut? Ja und nein – wie üblich kommt es auf die Perspektive an. Die Beispiele aus dem Bereich Energiespeicher, Home Energy Management und Mobilität zeigen deutlich, dass Bedarf für gute digitale Services besteht. Sie zeigen aber auch, dass der Wettbewerb in diesem Markt wesentlich vielfältiger ist als im klassischen Versorgungsgeschäft.

Für Energieunternehmen hat das zwei Folgen:

  1. Wer unter diesen Marktbedingungen einen neuen energienahen Service etablieren will, muss mit ihm eine digitale Experience schaffen, die sich gegen den Wettbewerb durchsetzt – und zwar nicht nur gegen E.ON, EnBW und das nächste Stadtwerk, sondern auch gegen Tesla, Google und Sonnen
  2. Durch die gestiegene Erwartungshaltung an neue Produkte und Dienstleistungen steigen auch die Anforderungen an bestehende digitale Kanäle wie Serviceportale – auch hier ist der Status quo oft nicht mehr genug

Hinzu kommen neue und “fachfremde” Player, die längst einen Schritt vorweg zu sein scheinen: Einerseits junge Unternehmen und Startups, die sich von Anfang an auf digitale Kanäle und optimierte CX fokussiert haben und mit wenig Legacy-Prozessen oder komplexen Organisationsstrukturen zu kämpfen haben. Andererseits etablierte Konzerne etwa aus dem Automobilbereich, die nicht nur über große finanzielle und personelle Ressourcen, sondern auch bereits über ein gutes Verständnis der Bedürfnisse ihrer Kundschaft verfügen.

Energieunternehmen sind in einer guten Ausgangsposition – sie müssen sie nur nutzen

In all diesen Herausforderungen stecken für Energieunternehmen aber auch große Chancen. Mit ihrer in Jahrzehnten gewachsenen Marktmacht und Expertise haben Energieunternehmen beste Voraussetzungen, um sich auch in den neu entstehenden Märkten rund um energienahe Produkte und Dienste zu behaupten – wenn sie bereit sind, sich an die neuen Anforderungen anzupassen und Customer Experience nicht als „nice to have“, sondern als essenziellen Differenziator und Werttreiber ernst zu nehmen.

Die Ausgangslage ist dabei gespalten: Viele der großen Energieunternehmen haben bereits dezidierte digitale Innovations-Abteilungen etabliert, die den Aspekt „Erlebnis“ in Form von User Experience-Teams mitdenken (wie etwa das Digital Office bei EnBW oder E.ON Digital Technology). Ebenso suchen sie sich Partner, um ihr eigenes Serviceportfolio sinnvoll zu erweitern, sei es durch Kauf (wie etwa EnBW beim Speicher-Abo-Dienst DZ4) oder durch Kooperation (wie etwa E.ON und BMW im Rahmen des „Connected Home Charging“).

Kleinere Versorger haben hier sicher die größeren Hürden zu überwinden – von mangelnder Kenntnis über Nutzenden-Bedürfnisse und silohafte Prozesse bis hin zu Schwierigkeiten, CX-Fachkräfte zu finden. Mit dem richtigen Set an Methoden und Expertise wird dies jedoch gelingen, so dass sie ihren Kund*innen sinnvolle Services und eine bessere digitale Experience bieten und sich so ihren Platz im Energie-Ökosystem der Zukunft sichern können.

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