06/10/2023

Mehr als nur Daten – Gesundheitsplattformen als digitale Ökosysteme

Autorin: Johanna Tamm

Welche Chancen bieten Gesundheitsplattformen für Ärzt*innen und Patient*innen und wie können Anreize für ihre Nutzung geschaffen werden? Diese Frage stand im Zentrum des Healthcare Experience Meetups im September. Die folgenden Punkte stellen die wesentlichen Ergebnisse der Diskussion dar.

Das Healthcare Experience Meetup widmet sich einmal im Monat einem Thema aus dem Gesundheitswesen. Im Fokus stehen digitale Services und die Frage, wie die Healthcare Experience für Ärzt*innen und Patient*innen verbessert werden kann. Im September diskutierten Karsten Knöppler, Geschäftsführer _fbeta GmbH, Christian Klose, Client Partner der IBM Gesundheitsplattform, Dr. Illias Tsimpoulis, Chief Medical Officer Doctolib und Sophia Matenaar, Referentin im Bundesministerium für Gesundheit, zu „Plattformen im Gesundheitswesen“.

Das Ökosystem Gesundheitsplattform

Was genau zeichnet eine Gesundheitsplattform eigentlich aus? In den meisten Industrien lassen sich Plattformen in eine von drei Kategorien einordnen: Entwicklungs-, Vernetzungs- oder Integrationsplattformen. In der Gesundheitsbranche hingegen, lassen sich Plattformen nicht über eine einzelne Transaktion definieren. Deshalb kann die Gesundheitsplattform auch nicht in eine Plattform-Kategorie eingeordnet werden.

Viele der klassischen Plattformen sind oft ‚Marktplätze‘. Bei Gesundheitsplattformen ist es allerdings  passender, von einem „digitalen Ökosystem“ zu sprechen, das verschiedene Services über Schnittstellen miteinander vernetzt, um alle Transaktionen rund um das Gesundheitsmanagement abzubilden. Die Herausforderung besteht dabei insbesondere in den verschiedenen Perspektiven, die dieses Netzwerk abbilden muss. Für Ärzt*innen soll eine Gesundheitsplattform, wie sie im neuen Gesetztentwurf basierend auf der ePA skizziert wird, als effiziente Diagnoseunterstützung und Behandlungspfadbegleitung dienen und so für Patient*innen das eigene Gesundheitsmanagement erleichtern, während die Gesetzgebung insbesondere den Schutz von sensiblen Daten im Fokus hat. Ein Gleichgewicht zwischen diesen Perspektiven und Anforderungen zu finden, ist bei der Entwicklung des Ökosystems Gesundheitsplattform besonders herausfordernd.

Die Nutzer*innen müssen bei der Entwicklung einer digitalen Gesundheitsplattform stets im Fokus stehen. Nur eine einfache und intuitive Bedienung der Plattform führt dazu, dass die Gesundheitsplattform von Patient*innen und Ärzt*innen gleichermaßen genutzt und befüllt wird. Datenschutz spielt bei Gesundheitsdaten zwar eine wichtige Rolle, darf aber die Nutzendenerfahrung nicht in dem Maße beeinflussen, dass eine regelmäßige Nutzung und Pflege der Gesundheitsplattform für die Nutzer*innen unattraktiv wird. Dafür muss bei der Entwicklung der Plattform neben einer datenschutzkonformen Speicherung und Verarbeitung der Gesundheitsdaten der Fokus vor allem auf das Frontend gelegt werden. Denn das Datenmanagement muss für Patient*innen und Ärzt*innen gleichermaßen intuitiv und ohne Zusatzaufwand möglich sein. In vielen Angeboten kommt ein nutzerfreundliches Frontend jedoch bisher zu kurz.

Ein relevanter Punkt, um die User-Experience zu verbessern und Hürden zu senken, ist die Schaffung und Berücksichtigung digitaler Identitäten. Diese ermöglichen es, schneller an vorhandenen Angeboten teilzunehmen anstatt für jeden Service neue Konten erstellen zu müssen.

Daten sind essenziell

Die Bereitstellung einer bedienungsfreundlichen Gesundheitsplattform ist nur ein erster Schritt. Die ePA als ein Kern-Baustein und ein Ausgangspunkt von Gesundheitsplattformen braucht Daten und aktive Nutzer*innen. Ohne qualitativ hochwertige und aktuelle Daten ist der Nutzen nicht gegeben. Deshalb ist die Datenpflege ein essenzieller Teil bei der Schaffung einer nachhaltig nutzbaren Plattform. Nur mit einem aktuellen und präzisen Datensatz kann sichergestellt werden, dass auch die Gesundheitsplattformen einen Mehrwert für Ärzt*innen und Patient*innen bieten und medizinisch fundierte Entscheidungen getroffen werden können.

Zusätzlich muss die Pflege der Gesundheitsdaten beschleunigt werden. Daten zu Diagnosen und Medikation müssen zeitnah in eine Gesundheitsplattform wie die ePA eingepflegt werden, um Verzögerungen und Unsicherheiten in der Behandlung von Patient*innen zu verhindern. Überholte gesetzliche Regularien, wie zum Beispiel Quartalsreports, verlangsamen den Prozess und schwächen die Nutzbarkeit und somit den Nutzen der ePA. Beschleunigend dagegen könnte laut Sophia Matenaar, Referentin im Bundesministerium für Gesundheit, ein positiver Wettbewerb unter den Anbietern von digitalen Versorgungsangeboten wirken, um bestmögliche Prozesse und damit die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Hierfür müssten die Anschlussfähigkeit für Anbieter sowie entsprechende Anreize geschaffen werden.

Kommunikation auf Augenhöhe

Damit Gesundheitsplattformen, oder die ePA, als ein Baustein nachhaltig genutzt werden können, muss zunächst die Akzeptanz der Plattform sowohl bei Patient*innen, als auch Ärzt*innen hergestellt werden. Dafür ist eine Kommunikation auf Augenhöhe essenziell. Statt der Verwendung von produktbezogenen Fachbegriffe und Details zur Plattform sollte vorrangig der Mehrwert für Ärzt*innen und Patient*innen kommuniziert werden. So beispielsweise die Optimierung und Vereinfachung von Prozessen im Behandlungsablauf, eine erhöhte Wertschöpfung und die damit gewonnene Transparenz im Gesundheitsmanagement. Mit Blick auf die Ärzt*innen sollte sich vor allem der Praxisalltag in der Kommunikation widerspiegeln.

Grundsätzlich gilt es auch, das allgemeine Narrativ in Hinblick auf die ePA zu drehen. Nur auf individuelle Nutzen und nicht auch auf die allgemeine Verbesserung für das Gesundheitssystem zu schauen, birgt Gefahr, dass weiterhin wenig vorankommt.

Nutzen für Patient*innen und Ärzt*innen

Ärzt*innen haben für die Behandlung und die Vorbereitung der Behandlung einzelner Patient*innen zunehmend weniger Zeit. Oft muss innerhalb von wenigen Minuten eine Behandlungsentscheidung getroffen werden. Die effiziente Verteilung der Ressourcen von Ärzt*innen ist daher von großer Bedeutung. Die transparente Dokumentation der Krankengeschichte in einer ePA, sowie der Verlauf von Behandlungen durch andere Ärzt*innen, unterstützt und erleichtert eine schnelle und präzise Diagnose. Zusätzlich sind Patient*innen mit Hilfe einer ePA in der Lage, ihre Gesundheitsdaten selbst zu verwalten, da alle Dokumente von verschiedenen Behandlungen auf einer zentralen Plattform zusammenlaufen. Diese durch Gesundheitsplattformen geschaffene Transparenz bildet einen zentralen Nutzen für Patient*innen und Ärzt*innen.

Um die Akzeptanz der ePA zu steigern, sollten Anreize geschaffen werden, die die aktive Nutzung und Pflege der Plattformen fördern. Zusätzlich sollte es mehr Aufklärung über die Vorteile und Funktionalitäten der Plattformen sowohl für Ärzt*innen als auch Patient*innen geben. Diese werden nicht immer direkt und individuell spürbar sein – deshalb ist ein Narrativ, das auch den zukünftigen Nutzen mit einbezieht, notwendig. So werden für alle die jetzt zu gehenden, noch holprigen Schritte als notwendig und lohnend kommuniziert.

Über den Tellerrand hinausschauen

Auch wenn sich die Gesundheitsbranche in vielen Punkten von anderen Industrien unterscheidet, werden auch hier zunehmend mehr digitale Plattformen entwickelt. Beispielsweise erweitern Krankenkassen ihr Angebot um versorgungswirksame Leistungen, mittels Whitelabel-Lösungen. Diese entwickeln sie teils selber oder kaufen sie sich ein. Meist in Form mobiler Apps, um für bestimmte Indikationen ein digitales Marktangebot zu bieten. Dies entwickelt sich zum digitalen Äquivalent von analogen Selektiv-Verträgen. Der Vorteil für Krankenkassen mit geringer regionaler Abdeckung ist es, hiermit ein breiteres digitales Versorgungsangebot zu schaffen. Hierzu sind in gewisser Weise auch DiGAS zu zählen. Lesen Sie hier unseren Artikel zum Thema DiGAS.

In anderen Industrien entstanden Ökosysteme, indem sich bestehende Anbieter auf unterschiedlichen Ebenen kooperieren. Neue Anbieter und ein diverses Angebot an Leistungen entsteht auch oft dann erst, wenn es eine Vielzahl an Standards, Hardware- und Software-Lösungen gibt, auf die neue Anbieter aufsetzen und diese zur Entwicklung Ihres Angebotes nutzen können. Es ist dann oft mehr ein Zusammensetzen, konfigurieren und Orchestrieren von solchen Komponenten, die das inhaltliche Angebot ausmachen. Während das in vielen Wirtschaftszweigen schon passiert, ist dies im Gesundheitsbereich noch neu. Hier gilt es noch den Weg zu finden: Wo kooperiert man und einigt sich auf Standards und wo unterscheidet man sich durch eigene inhaltliche Angebote, die auf den Standards aufbauen. Mit den auf der TI bestehenden und entstehenden Komponenten gibt es bereits einige dieser Komponenten auf denen solche Angebote aufgebaut werden können.

In diese Richtung könnten sich zukünftig auch DiGAs entwickeln. Hier liegt noch viel Potential. Während sie im Moment noch sehr beschränkt einzelne Indikationen fokussieren, wäre es für sie möglich mehr der Komponenten zu nutzen, unterschiedliche Bereiche einer Behandlung einzubinden und ganze Versorgungspfade abzudecken bzw. zu orchestrieren.

Fazit: Die perfekte Lösung gibt es (noch) nicht

Für eine Gesundheitsplattform müssen alle Perspektiven abgeholt werden: Patient*innen, Ärzt*innen und nicht zuletzt auch die Perspektive des Gesetzgebers. Dabei müssen jedoch pragmatische Ansätze gefunden werden, um die verschiedenen Anforderungen umzusetzen. Aktuell sind gesetzliche Vorgaben noch zu kompliziert, die Umsetzung deshalb zu langsam und die Akzeptanz bei Nutzer*innen aufgrund fehlender User-Experience Optimierung sehr gering. Das Gesundheitswesen kann jedoch aus den Lösungsansätzen von anderen Branchen lernen und diese auch für die Entwicklung von Gesundheitsplattformen anwenden. Die Schaffung von Daten-Transparenz, einer guten User-Experience und eine Kommunikation auf Augenhöhe sind wichtige Schritte um Ärzt*innen und Patient*innen zur Nutzung von Gesundheitsplattformen zu bewegen.

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