12/02/2025

Digitale Barrierefreiheit: eine Chance für Unternehmen

Autor*innen: Cathleen Eberhardt, Christian Stadler

Stell dir vor, du willst online ein Ticket buchen – doch die Schrift ist zu klein, der Kontrast zu schwach, und ohne Maus ist der Button nicht klickbar. Für viele Menschen ist das der Alltag. Ab Juni 2025 sind Unternehmen in der EU daher verpflichtet, digitale Produkte barrierefrei zu gestalten. Doch digitale Barrierefreiheit ist mehr als eine Pflicht – sie schafft echten Mehrwert für alle.

Digitale Barrierefreiheit stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von Einschränkungen wie Sehbehinderung, Gehörlosigkeit, kognitiven oder motorischen Beeinträchtigungen – digitale Produkte und Dienstleistungen ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe nutzen können. Dies betrifft nicht nur Menschen mit dauerhaften Behinderungen, sondern auch temporäre oder situative Einschränkungen, beispielsweise bei einer Armverletzung oder eine laute Umgebung. Eine barrierefreie Gestaltung ist oft intuitiver und nutzerfreundlicher, und ermöglicht eine inklusivere digitale Welt, in der niemand ausgeschlossen wird. Für Unternehmen ergeben sich daraus wichtige Wettbewerbsvorteile.

Unter anderem der demografische Wandel wird zu einem steigenden Bedarf an Produkten führen, die barrierefrei sind:

7,8 Mio.

Menschen in Deutschland sind schwerbehinder – fast jeder Zehnte (9,4%).

Weltweit liegt die Quote mit 15% sogar noch höher.

45%

der Menschen mit Schwerbehinderung sind 55 bis 74 Jahre alt.

Alter und Behinderung stehen in engem Zusammenhang.

Bis 2030

werden rund 29% der Bevölkerung 65+ Jahre alt sein.

Die Zahl der Menschen mit Behinderung wird steigen.

94%

aller Behinderungen werden erst im Laufe des Lebens erworben.

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2022

Digitale Barrierefreiheit 2025: Gesetzliche Anforderungen

Gemäß den Vorschriften der Europäischen Union zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act / EAA (Richtlinie 2019/882)) müssen ab 2025 digitale Lösungen für Endkundinnen und Endkunden so gestaltet sein, dass sie auch von Menschen mit verschiedenen Einschränkungen wie Epilepsie, Rot-Grün-Schwäche, Blindheit usw. genutzt werden können. Dies betrifft z.B. Websites, Online-Shops, Kundenportale und Apps. In der Vergangenheit war digitale Barrierefreiheit aufgrund der Gesetzeslage vor allem ein Thema des öffentlichen Sektors. Jetzt ist auch der Privatsektor gefordert, die Barrierefreiheit von Produkten und Services sicherzustellen.

Mit dem Erlass der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) kommt Deutschland der Umsetzungspflicht in Bezug auf den Anhang I der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz: EAA) nach. In den Gesetzen werden die Produkt- und Servicemerkmale festgelegt, die für Menschen mit Behinderung zugänglich sein müssen. Sie unterliegen Barrierefreiheitsanforderungen, die mittels verschiedener Richtlinien wie z.B. den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) oder der Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV), welche auch alle geforderten Kriterien der EN 301 549 abdeckt, umgesetzt werden sollen.

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definieren konkrete Anforderungen und unterteilen sich in drei Stufen:

  • Level A: Basis-Barrierefreiheit – grundlegende Anforderungen für minimale Zugänglichkeit
  • Level AA: Standard, verpflichtend ab 2025 – gängige Best Practices für eine gute Barrierefreiheit
  • Level AAA: Exzellente Barrierefreiheit – höchste Standards für optimale Zugänglichkeit

Zusätzlich müssen Unternehmen die Einhaltung der Barrierefreiheitsstandards zu dokumentieren und Nutzern Informationen über die Zugänglichkeit ihrer digitalen Produkte bereitzustellen.

 

Wie müssen barrierefreie Lösungen gestaltet sein?

Für Barrierefreiheit gibt es keine Einheitslösung: für verschiedene Arten von Angeboten gelten unterschiedliche, spezifische Regeln. In den Gesetzen werden die Produkt- und Servicemerkmale festgelegt, die für Menschen mit Behinderung zugänglich sein müssen.

Um digitale Barrierefreiheit 2025 zu ermöglichen, sollten Unternehmen die folgenden wichtigsten Maßnahmen ergreifen:

  • Kontrastreiche Gestaltung: Farben und Schriftarten müssen gut lesbar sein, um Men-schen mit Sehschwäche das Erfassen von Inhalten zu erleichtern.
  • Alternativtexte für Bilder und Videos: Visuelle Inhalte müssen mit beschreibenden Al-ternativtexten versehen werden, damit sie von Screenreadern erfasst werden können.
  • Navigation per Tastatur: Inhalte müssen auch ohne Maus vollständig zugänglich sein, um Menschen mit motorischen Einschränkungen die Bedienung zu ermöglichen.
  • Strukturierte Inhalte: Logische Überschriftenhierarchien, einfache Sprache und klare Formulare tragen zur besseren Verständlichkeit bei.
  • Barrierefreie PDF-Dokumente: Dokumente müssen für alle Nutzer lesbar und navigierbar sein, beispielsweise durch Tags und strukturierte Inhalte.
  • Untertitel und Transkripte für Videos: Videos sollten mit Untertiteln oder Audiodeskriptionen ausgestattet sein, um hörgeschädigten Nutzern den Zugang zu ermöglichen.
  • Klare und verständliche Formulare: Formulare sollten mit klaren Anweisungen und be-schrifteten Eingabefeldern ausgestattet sein, um die Nutzung zu erleichtern.

Die wichtigsten Vorteile von digitaler Barrierefreiheit für Unternehmen

Digitale Barrieren (z.B. im Online-Handel) erschweren nicht nur das Leben vieler Menschen, sie verursachen Kaufabbrüche und Umsatzverluste. Diese Barrieren zu entfernen bedeutet, Informationen für alle zugänglich zu machen, Interaktionen und Käufe zu ermöglichen und damit sowohl mehr Umsatz zu generieren als auch die Souveränität von Menschen zu stärken.

  • Erweiterung der Zielgruppe
    15 % der Weltbevölkerung leben mit einer Behinderung. Dazu kommt eine alternde Gesellschaft, die zunehmend auf barrierefreie digitale Angebote angewiesen ist. Menschen im Alter von 65+ in Deutschland haben über 720 Mrd. Euro freie Kaufkraft – digitale Barrierefreiheit vereinfacht es, Umsätze in der Zielgruppe zu generieren.
  • Kostenersparnis
    Die frühe Einbindung von Barrierefreiheit reduziert langfristig Entwicklungs- und Anpassungskosten Die potentiellen Optimierungen, die nötig sind, um ein Produkt nachträglich möglichst barrierearm zu gestalten, sind wesentlich aufwändiger und langwieriger als eine klare Verpflichtung zu Barrierefreiheit und die dementsprechende Planung für alle Projektbeteiligten von Anfang an.
  • Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung
    Unternehmen, die Barrierefreiheit umsetzen, zeigen gesellschaftliche Verantwortung und leisten einen Beitrag zur digitalen Inklusion. Indem Ungleichheiten beseitigt werden, trägt Barrierefreiheit zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele von Unternehmen bei.
  • Reichweite & SEO
    Ein barrierefreies Design ist viel leichter zu bedienen: Websites mit klarer Struktur, alternativen Texten und einfacher Navigation werden von Suchmaschinen besser indexiert, was die Reichweite und Sichtbarkeit erhöht.
  • Marken-Image
    Das Bewusstsein von Konsument*innen bzw. Nutzer*innen erweitert sich dahingehend, dass nicht nur die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch die Werte hinter einer Marke oder Organisation immer relevanter werden. Barrierefreiheit stärkt also die Marke und zeugt von Empathie.
  • Minimierte Risiken
    Durch die Umsetzung von Barrierefreiheitsanforderungen vermeiden Unternehmen rechtliche Risiken, die bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben drohen.

Fazit: Jetzt aktiv werden!

Digitale Barrierefreiheit ist kein kurzfristiger Trend, sondern eine notwendige Anpassung an gesetzliche Vorgaben und gesellschaftliche Veränderungen. Doch statt nur eine gesetzliche Vorgabe zu erfüllen, sollten Unternehmen Barrierefreiheit als Chance begreifen: Sie erweitert die Zielgruppe, verbessert das Nutzererlebnis und bringt Wettbewerbsvorteile.

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