27/05/2024

Interview: Generative KI in der Gesundheitsversorgung

Zwei medizinische Fachkräfte befinden sich in einer medizinischen Einrichtung. Der eine, stehend, trägt einen grünen Kittel und hält eine Kaffeetasse. Der andere, sitzend, trägt einen blauen Kittel und schaut auf ein Smartphone.

Dr. Anita Puppe ist Senior Consultant Strategy & Business Design bei IBM iX DACH. Als Expertin für künstliche Intelligenz und Machine-Learning-Modelle im Healthcare-Bereich berät sie pharmazeutische und Life-Sciences-Unternehmen sowie Krankenhäuser zum Thema Innovation. In unserem Interview sind wir auf den heutigen Stand generativer KI im Healthcare-Sektor eingegangen und haben die damit einhergehenden Herausforderungen beleuchtet.

Hallo Anita, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, um einige Fragen für uns zu beantworten. Bei medizinischen Konferenzen erhältst du tiefgreifende Einblicke in den aktuellen Stand von KI in der Gesundheitsversorgung – was ist dein Fazit der Debatte?

Ich finde es erstaunlich, dass in der derzeitigen Landschaft deutscher Healthcare-Konferenzen die Gespräche häufig um Themen kreisen, die gefühlt zehn Jahre alt sind. Es gibt eine bedenkliche Diskrepanz, wenn medizinische Fachleute in ihren Debatten immer noch mit den Grundlagen künstlicher Intelligenz (KI) kämpfen – und ihren Nutzen sowie ihre Wirksamkeit in Frage stellen. Während meines letzten Vortrags bei einer Konferenz, die ausschließlich von Ärzt*innen besucht wurde, hat mich die vorherrschende Skepsis verwundert. Viele waren der Ansicht, dass KI unnötig ist oder dass menschliche Fähigkeiten allein die Effizienz und Genauigkeit KI-gestützter Lösungen übertreffen können. Diese Perspektive lässt das transformative Potenzial von KI im Healthcare-Sektor völlig außer Acht, wo durch Innovationen bedeutende Fortschritte bei der Patientenversorgung, der betrieblichen Effizienz und der Gesamtqualität der Gesundheitsleistungen erreicht werden können.

Dr. Anita Puppe bei Konferenzen und Branchen-Events Dr. Anita Puppe bei Konferenzen und Branchen-Events
Dr. Anita Puppe bei Konferenzen und Branchen-Events

Welche Reaktionen begegnen dir bezüglich KI im Gesundheitssektor?

In meinen Vorträgen und Workshops beginne ich oft mit einer provokanten Aussage: „Ich möchte keine Diagnose mehr ohne KI.“ Diese Erklärung erzeugt meiner Erfahrung nach bei deutschen Ärzt*innen Beunruhigung, was zeigt, dass ihr Ansatz für die Gesundheitsversorgung eine harte Realität widerspiegelt. Mir ist aufgefallen, dass man sehr an traditionellen Methoden festhält. Ärzt*innen verlassen sich immer noch stark auf manuelle Verfahren und Patient*innen sind vor einer Behandlung langen Wartezeiten ausgesetzt. Wenn ich vor den Leuten spreche, spüre ich den Widerstand. Eine Einstellung, die in dem Glauben wurzelt, dass die Autorität des weißen Kittels allumfassend ist. Trotzdem erfordert die Zukunft der Medizin einen Paradigmenwechsel. Ärzt*innen müssen sich weiterentwickeln, um eher als Coach und weniger als allmächtige Person zu agieren.

Die Nutzung technologischer Errungenschaften erhöht nicht nur die diagnostische Genauigkeit, sondern personalisiert auch die Patientenversorgung, wodurch sie effizienter und wirkungsvoller wird. Auf dem Weg, der vor uns liegt, werden Healthcare-Fachleute dabei unterstützt, dieses Verständnis zu entwickeln. Dadurch können sie erkennen, dass die Integration von KI und anderen Technologien in ihrer Praxis ihre Rolle nicht abwertet, sondern ihre Fähigkeiten verbessert.

Was sind deiner Erfahrung nach die größten Hürden bei der Anwendung generativer KI in der Gesundheitsversorgung? Und was die Chancen?

Im Healthcare-Bereich besteht eine unserer größten Herausforderungen in der Ablehnung neuer Technologien der Ärzt*innen. Dieser Widerstand, der häufig aus Zeitmangel resultiert, verkennt paradoxerweise, dass generative KI und ähnliche Technologien ihre Praxis revolutionieren können, wodurch sie wertvolle Zeit sparen würden. Bei KI im Healthcare-Bereich geht es nicht darum, bestehende Prozesse komplizierter zu machen, sondern sie zu optimieren, damit tägliche Aufgaben effizienter erledigt werden können und Ärzt*innen in der Position sind, sich wieder auf ihr Hauptziel konzentrieren zu können: die Versorgung von Patient*innen. Die Möglichkeit für Ärzt*innen, „wieder menschlicher zu sein“ und sich auf persönlicher Ebene mit ihren Patient*innen zu befassen, ist ein überzeugendes Argument für die Nutzung von KI. Die Herausforderung liegt darin, effektiv mit den Fachleuten zu kommunizieren, die häufig überarbeitet sind und daher das Potenzial der zukünftigen Technologien nicht vollständig erkennen.

Du bist selbst Ärztin – wie bewegt man medizinisches Fachpersonal dazu zusammenzuarbeiten und die Skepsis bezüglich der Einbindung von Technologien wie generativer KI in die Gesundheitsversorgung zu überwinden?

Die Welt steuert auf ein technologisch stärker integriertes Gesundheitsmodell zu. Für Ärzt*innen ist es essenziell, sich an diese neue Realität zu gewöhnen. Der Umstieg mag schwierig sein, aber für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung ist er notwendig. So sehr manche Healthcare-Vertreter*innen auch vor dieser Wende zurückschrecken, sie bietet auch Chancen, medizinische Rollen neu zu definieren und die Situation für die Patient*innen signifikant zu verändern.

Als Ärztin, die sich für diese technologische Integration ausspricht, möchte ich Vertrauen bei meinen Kolleg*innen schaffen, indem ich ihnen versichere, dass diese Errungenschaften dazu dienen, unseren Beruf zu verbessern und nicht auszubremsen. Ich habe ein sehr klares Ziel: das Leben meiner Kolleg*innen in der Gesundheitsversorgung einfacher zu machen. Und das geht nur mit der Verwendung neuer Technologien. Die Einführung generativer KI und anderer innovativer Lösungen ist nicht kompliziert, erfordert aber die Bereitschaft, diese Tools anzupassen und in die alltägliche Praxis zu integrieren.

Die Reise hin zu einem technologisch stärker aufgestellten Gesundheitssystem ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die Offenheit, Vertrauen und Zusammenarbeit unter den medizinischen Fachleuten voraussetzt. Damit können wir sicherstellen, dass wir uns in unserer Weiterentwicklung auf die Überzeugung stützen, dass Technologie unser Verbündeter ist, der die Patientenversorgung bereichern und die menschliche Komponente, die in der Medizin unerlässlich ist, stärken kann.

Wo stößt generative KI auf offene Türen?

Generative KI ist weltweit immer stärker anerkannt und verbreitet. Länder wie Israel, Estland und die Schweiz schreiten dabei voran und übernehmen diese Technologie im Gesundheitssektor und auch darüber hinaus. Diese Länder haben einen vorausschauenden Ansatz beim Umgang mit Technologie demonstriert, indem sie das im-mense Potenzial anerkennen, das generative KI für die Transformation von Industrien, die Steigerung von Effizienz und die Förderung von Innovationen bereithält.

Die weltweite Verbreitung generativer KI betont das wachsende Bewusstsein ihres transformativen Potenzials und unterstreicht die Bedeutung moderner Technologien für den Fortschritt. Angesichts der steigenden Anzahl an Ländern und Industrien, die die Vorteile erkennen und nutzen, stehen wir vor einem Übergang in ein neues Zeitalter der Gesundheitsversorgung und anderer Bereiche, das von unübertroffener Effizienz, Innovation und flächendeckend besseren Outcomes gekennzeichnet ist.

Was kann IBM iX zu diesem Übergang beitragen und was sind die nächsten Schritte?

Bei IBM iX liegen diese anfänglichen Fragen bereits hinter uns: Wir haben schlüssig demonstriert, dass KI-Technologie nicht nur praktikabel ist, sondern auch schon jetzt effektiv auf dem Markt funktioniert. In der Praxis beweisen das zum Beispiel der Chatbot ISA, das VALIDATE-Projekt als KI-gestützte Schlaganfallbehandlung und die Zusammenarbeit zwischen IBM und Boehringer Ingelheim zur Weiterentwicklung von generativer KI und Grundlagenmodellen für die Entwicklung therapeutischer Antibiotika.

Der Kern unserer Mission besteht darin, Ärzt*innen zu dem Verständnis zu verhelfen, dass eine Einbindung von KI in ihre täglichen Abläufe sie nicht nur dabei unterstützt, zu besseren Ärzt*innen zu werden, sondern zu Vorreiter*innen für ein neues Zeitalter der Gesundheitsversorgung, in dem Präzision, Effizienz und Empathie den Ton angeben. Uns ist bewusst, dass Patient*innen heutzutage immer besser informiert und aufgeklärt sind, keine langen Wartezeiten für Termine auf sich nehmen möchten, die dann zu kurzen Begegnungen mit überlasteten Ärzt*innen führen. Sie wenden sich Lösungen zu, die nicht nur Schnelligkeit, sondern auch Präzision versprechen – Eigenschaften, mit denen eine KI punkten kann. Die Nachfrage nach Innovationen wie KI-Modellen für die Vorhersage von Schlaganfällen verdeutlicht das steigende Interesse an Technologien, die Kontrolle, Schnelligkeit und Genauigkeit in der Gesundheitsversorgung bieten.

Exzellente Experiences für die Gesundheitsbranche – mit IBM iX

Die digitale Transformation verändert die Gesundheitsbranche nachhaltig. Wir vom Health Team bei IBM iX begleiten dich dabei – von der Strategie, über das Design bis zur Technologie. Wir kennen deine Herausforderungen und besonders dein Potenzial.

Sprich uns gerne an!

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