04/02/2025

KI-gestützte Content- und Webentwicklung: ein Interview über die digitale Zukunft

Mit Charlie Bell (Contentful) und Sebastijan Ivasović (IBM iX)

Man sitting at a laptop, smiling, surrounded by digital icons including a robot face and a laptop symbol, set against an abstract background.

In der sich rasant weiterentwickelnden digitalen Landschaft verändert sich die Art und Weise, wie Unternehmen Webentwicklung und Content-Management angehen, drastisch. Mit dem Aufkommen von KI, Personalisierung und neuen Technologien wird die Zukunft digitaler Experiences neu gestaltet. Um diese Veränderungen zu untersuchen, sprachen wir mit Charlie Bell von Contentful und Sebastijan Ivasović von IBM iX über die Zukunft der Webentwicklung und Content-Erstellung.

Wenn ihr über die Fortschritte im Bereich der Webentwicklung in den letzten Jahren nachdenkt, welche wesentlichen Veränderungen gab es und welche Trends seht ihr für die Zukunft?

Sebastijan: Aus technologischer Sicht haben die letzten Jahre viele Gamechanger hervorgebracht. Tatsächlich bringt uns jedes Jahr neue Technologien und Methoden, die Entwicklungsansätze und Anforderungen von Unternehmen prägen. Um nur einige zu nennen: (Generative) KI und Machine Learning, die in Web-Apps eingebettet sind, Headless CMS, Composable und vieles mehr. Wenn man diese technologischen Nuancen kombiniert, sehe ich die Zukunft in einer KI-gestützten, personalisierten Bereitstellung von Inhalten.

 

Wie hat sich die inhaltliche Struktur in den letzten Jahren verändert und welche wesentlichen Eigenschaften oder Merkmale sind heute unerlässlich, um wirkungsvollen Content zu erstellen?

Charlie: Inhalte sind im Laufe der Zeit weniger strukturiert geworden. Der Grund dafür ist, dass die Idee von Inhalten auf der Legacy-CMS-Plattform basiert, die einen sehr linearen Ansatz verfolgt, wie Inhalte funktionieren: Sie fügen Ihre Inhalte in die Plattform ein, überarbeiten das Layout, und schon ist die Webseite fertig.

Aber so einfach funktioniert es nicht: Es gibt Inhalte in verschiedenen Systemen und in unterschiedlichen Produktionsstufen. Mit einer modernen Content-Plattform wie Contentful können Unternehmen Inhalte flexibel und modular strukturieren, indem sie verschiedene Systeme wie Digital Asset Management, Product Information Management und Personalisierungs-Engines nutzen, um einzigartige, dynamische Kundenerlebnisse zu schaffen.

 

Wie wird KI eurer Meinung nach die Zukunft von Web- und Content-Erstellung gestalten, und welche Durchbrüche erwartet ihr in den kommenden Jahren?

Charlie: Erstens, KI ist kein Allheilmittel. Wenn du Probleme hast, deine Inhalte zügig zu produzieren, dann wird KI diese Probleme tatsächlich nur noch verstärken.
Das Potenzial von KI ist jedoch enorm. Das Erstellen von komplexen Inhalten und Bildern aus ein paar Prompts ist die neue Realität.

Die klugen Köpfe legen jetzt den Grundstein. Die Erhöhung der Content-Geschwindigkeit („Content Velocity“) und die Beseitigung von Engpässen sind der wahre Schlüssel, um das Potenzial von KI zu entfalten. Strukturierte Inhalte sind das Herzstück der Large Language Models (LLMs) von KI. Unternehmen, die ihre Inhalte strukturieren, können dann Tools wie IBM watsonx mit ihren eigenen Inhalten trainieren – und dabei nicht nur Wörter und Bilder, sondern auch den Tone of Voice erfassen.

Sebastijan: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Beschleunigung der Arbeitsabläufe kurzfristig der Hauptvorteil von KI sein wird, um Arbeitnehmende dabei zu unterstützen, möglichst effizient zu arbeiten. Langfristig sollte KI in der Lage sein, kreative Aufgaben zu übernehmen, die ganz auf das Unternehmen und die Marke ausgerichtet sind. Was die Inhalte betrifft, so werden Unternehmen effizienter (oder sind es bereits), wenn sie neue Produkte einführen oder das Tagesgeschäft erledigen.

Für beide Zeitperspektiven – kurz- und langfristig – sollten Unternehmen meiner Meinung nach versuchen, riesige Datenbanken aufzubauen, die von den Ausgabepunkten entkoppelt sind. So kann KI auf kohärente, kontextbezogene Daten zugreifen und erstklassige markenkonforme Inhalte produzieren. Und das ohne große (wiederholte) Trainings- oder Prompt-Intervalle. Wenn wir davon ausgehen, dass das der Fall ist, sind ein paar grundsätzliche Philosophien einzuhalten – eine MACH-Architektur für MarTech, eine datenzentrierte Strategie, starke Asset-Governance-Modelle und die Übernahme von Change-Management als konstanten Geschäftsansatz.

 

Könnt ihr eure Erkenntnisse zu den Schnittstellen von KI, Webentwicklung und Content-Management teilen? Wie ergänzen sich diese drei Elemente bei der Schaffung einer nahtlose Benutzererfahrung?

Sebastijan: Die Schnittstellen gibt es auf verschiedenen Ebenen. KI ist ein Instrument, das die beiden erwähnten strategischen Aktivitäten – Webentwicklung und Content-Management – durch Effizienz- und hoffentlich Qualitätssteigerungen verbessert.

Was das Content-Management betrifft, hilft KI den Unternehmen, Inhalte in allen Content-Operationen zu fördern, von denen die Webentwicklung nur ein Teil ist. Nehmen wir dieses Beispiel – im MarTech-Bereich verbessern KI-Tools kreative Briefs von Agenturen und helfen dabei, diese als Ausgangspunkt für Content-Operationen zu analysieren. Anschließend finden Creative Assistants bestehende Assets und/oder helfen bei der Erstellung neuer Assets. Schließlich wird der Metadaten-Steward über KI in PIM- und DAM-Systemen halbautomatisiert. Als nächster Punkt in der Kette kann KI so weit gehen, die Erstellung von Landingpages auf Basis von Benutzerprofilen zu automatisieren, die durch Analytics generiert werden. Das Resultat für Benutzer*innen ist also, schnell und kanalübergreifend die richtigen Inhalte zu bekommen.

Charlie: Da stimme ich zu! Ich würde KI auch als „Erweiterte Intelligenz“ bezeichnen – sie bietet wirklich viele Möglichkeiten. Die Rolle von Plattformanbietern wie Contentful besteht darin, sie zugänglich und nützlich zu machen.

Die Leute denken oft, dass Generative KI das Einzige ist, was KI tut, aber im Content-Management eröffnet sie eine Welt voller Möglichkeiten rund um Content-Metriken, Lokalisierung, Segment-Discovery und vieles mehr. Die Rolle von Entwickler*innen wird weniger darin bestehen, Dinge zusammenzuführen, sondern vielmehr darin, die besten Werkzeuge für die besten Ergebnisse zu kombinieren.

An infographic depicting the data science workflow.

Einsatz von KI an der Schnittstelle von Content Operations

Könnt ihr ein Beispiel für einen innovativen Anwendungsfall von KI in der Webentwicklung und Content-Erstellung nennen?

Charlie: Eine Sache hat mich letztens sehr beeindruckt. Es geht um einen Kunden, der einen KI-Chatbot mit eigenen Inhalten, strukturiert in Contentful, trainiert hat. Beim Erstellen von Inhalten lernt der Chatbot dazu – aber hier ist der Clou: Wenn der Chatbot keine Inhalte findet, die einem/einer Benutzer*in helfen, wird er dem Content Editor einen Vorschlag unterbreiten.

 

Wie wird sich die Entwicklung von KI auf die Zukunft von Personalisierung und Nutzerbindung auswirken?

Sebastijan: Ich denke, KI wird eine echte Hyperpersonalisierung vorantreiben. Sie wird es Unternehmen ermöglichen, hochrelevante Inhalte auf der Grundlage des Nutzerverhaltens bereitzustellen. Machine Learning wird die Analyse des Nutzerverhaltens präziser machen und KI wird kontextbasierte Inhalte erstellen, die die Nutzerbindung steigern. Dieser Grad der Personalisierung wird die Benutzererfahrung neu definieren.

 

Welche Rolle spielt KI bei der Auseinandersetzung mit Themen wie Barrierefreiheit, Inklusivität und ethischen Überlegungen in der digitalen Landschaft?

Charlie: KI wird zweifellos die dominierende Kraft sein, zumindest was die Barrierefreiheit betrifft.

KI bietet zudem die Möglichkeit, neurodiversen Menschen eine völlig neue Welt zu eröffnen, da sie Inhalte hervorragend zusammenfassen und neu formulieren kann. Beispielsweise kann eine kurze Zusammenfassung einer Seite für jemanden mit ADHS sehr hilfreich sein. Inhalte könnten für Personen umgestaltet werden, die mehr Struktur und weniger Mehrdeutigkeit bevorzugen. Die Möglichkeiten sind grenzenlos.

Ethische Überlegungen stehen an einem interessanten Wendepunkt. Instagram erlaubt es beispielsweise, Inhalte zu markieren, die mit KI erstellt wurden. Da Chatbots Menschen immer ähnlicher werden, kann es notwendig sein, die Leute darauf hinzuweisen, dass sie nicht mit einem Menschen chatten. Ethik in der KI ist ein sich entwickelndes Gebiet und nicht einmal die führenden Wissenschaftler*innen sind sich völlig darüber einig, wie sie auszusehen hat.

 

Was ist eure Vision für die digitale Zukunft mit KI und die die Art und Weise, wie wir mit digitalen Plattformen interagieren?

Charlie: Es verändert sich alles so schnell, dass Vorhersagen schnell überholt sind. Eines ist jedoch sicher: Wir stehen an der Schwelle zu etwas wirklich Aufregendem.

Wer heute seine Inhalte strukturiert und sich in Richtung MACH und Composable Tech Stacks bewegt, ist am besten in der Lage, seine Plattformen mit KI zu ergänzen. Kundenerlebnisse basieren darauf, die richtigen Inhalte zur richtigen Zeit auf dem richtigen Gerät zu liefern. Und das wird auch immer so bleiben. KI wird diese grundlegende Wahrheit nicht ändern – aber sie wird zu einem wesentlichen Teil der Art und Weise werden, wie Unternehmen Inhalte erstellen, um ein Kundenbedürfnis zu befriedigen – und das manchmal ganz spontan.

Sebastijan: Es ist auf jeden Fall sehr spannend! Darüber hinaus sehe ich die Zukunft des Webs in einer KI-gestützten, personalisierten Bereitstellung von Content-Fragmenten. Um dieses Chaos aus Schlagwörtern etwas verständlicher zu machen, möchte ich es mal so ausdrücken: Die Inhalte, die Marken ihren Kund*innen anbieten, werden immer personalisierter, und dieser Trend sollte sich fortsetzen. Die Algorithmen zur Bereitstellung personalisierter Erlebnisse auf Grundlage des Onlineverhaltens der Benutzer*innen werden immer besser und erreichen immer mehr Plattformen.

Ich sehe auch Sucherfahrung, die auf dem Nutzerverhalten basiert, und hier kommt KI als kontextbezogener Suchassistent ins Spiel, der Inhalte aus den riesigen digitalen Meeren von Multimedia und Texten liefert, die Marken online zur Verfügung stellen.

Um diesem neuen Nutzerverhalten gerecht zu werden, müssen Marken ihre Inhalte in aussagekräftigen, hochoptimierten Fragmenten aufteilen, die KI-Assistenten erfassen, kontextualisieren und an End-nutzer*innen ausliefern können.

Triff die Experten!

Sebastijan Ivasović
Digital Business Consultant at IBM iX
Charlie Bell
Senior Director for Solution Engineering EMEA at Contentful

Das könnte dich auch interessieren